Handgewebe lapisblau

Rasende Lyrik: Petra Ganglbauer liest Dine Petriks Handgewebe lapisblau
Die Signatur der Gedichte von Dine Petrik ist eine unumstößliche. Imaginiert man während der Lektüre die hervorstechende und eigenwillige Lesart der Autorin, entsteht eine Zusammenschau aus Stimmführung, Rhythmus und Geschwindigkeit. Auch wenn man die Vortragsweise Dine Petriks nicht kennt, stellt sich ein nachdrücklicher Sprachklang während der Lektüre ein. Stets ist den Texten auch eine Art Klage zu eigen; jedoch eine, die auf äußerster Disziplin in der Formäußerung beruht, auf der Entscheidung, es mit den Fährnissen des Lebens aufzunehmen.

Auch wenn man die Vortragsweise Dine Petriks nicht kennt, stellt sich ein nachdrücklicher Sprachklang während der Lektüre ein. Stets ist den Texten auch eine Art Klage zu eigen; jedoch eine, die auf äußerster Disziplin in der Formäußerung beruht, auf der Entscheidung, es mit den Fährnissen des Lebens aufzunehmen. >> HIER weiterlesen
poesiegalerie, 09.09.2023

Daniela Strigl: Das lyrische Ich schlägt Alarm
In „Handgewebe lapisblau“ vereint Dine Petrik Gedichte mit drängendem Rhythmus und lässt die Göttin Ischtar auftauchen.

Dine Petrik ist vor allem als Biografin Hertha Kräftners bekannt, für deren einzigartige Gedichte sie seit Jahren die Trommel rührt. Nun hat Petrik mit „Handgewebe lapisblau“ den siebenten Lyrikband aus eigener Produktion vorgelegt. Das Motto aus „Also sprach Zarathustra“ mahnt nicht reife Könnerschaft ein, sondern Aufruhr: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“ Tatsächlich pulsiert ein drängender Rhythmus in diesen Gedichten, Ungeduld und eine quecksilbrige Beweglichkeit triumphieren über alles Stille und Beschauliche. Gleich zu Beginn gerät das Echo auf „nietzsches nachtlied“ zum Menetekel der ablaufenden Zeit, der das Ich trotzt, „bleich im schein der alten mac / maschine“: „ach, die uhr geht nach / die unruh steigt / kein engel wacht / gib acht in dieser –.“ Ist das schon der befürchtete finale Abbruch? Nicht nur hier bleibt das erlösende Wort am Vers- und Gedichtende aus, das kunstvoll (Binnen-)Gereimte entfaltet seine Magie auch so.

Der erste Abschnitt ist stimmig mit „lyrics“ übertitelt, der dritte mit „vertont“, man kann sich vieles sehr gut gesungen vorstellen, das weltläufige Panorama umfasst nicht zuletzt Musiker, von Tom Waits und David Bowie bis Luigi Nono, Bach und Schubert. Das zu produktivem Scheitern verurteilte Bemühen, die Musik im Gedicht „nachzusingen“, zwingt Lust und Schmerz zusammen, und mitunter verwandelt das Wort im nächsten Vers den Sinn des vorigen – „elegisch“: „dieser zustand glück inside / ein arioso das wort tränen / unterdrücken / tiefe atemzüge.“ Dann schlägt das lyrische Ich wieder „alarm“, weil doch auch ihm das Hemd näher ist als der Rock: „das fest und ausgehaltene leben / immer da und nichts daneben / viel zu nah das hemd / beileibe täglich enger.“

Leibhaftiges und Körperliches, Hand und Haut, Handlesen und Hautbeschriftung wird hier genau in Augenschein genommen, den Abstands- und Maskengeboten der Coronazeit gilt staunende Resignation, der „covid blues“ ist sparsam instrumentiert. Von Textilien, die uns handgewebt angeboten werden, erwarten wir Sorgfalt, Originalität, Kunstsinn – Dine Petrik kombiniert das „Handgewebe“ ihrer Verse mit dem Lapisblau der rätselhaften Göttin lschtar. Dabei dient das mythologische Personal der Autorin nicht zur Verbrämung des Naheliegenden, es geht ihr konkret um die Kriege und die Versehrten von heute. Bei aller Belesenheit ist sie auf der Hut vor zu viel auratischem Weihrauch, wie vor dem „mahagonistaub“ alter Kleiderkästen: „kann nicht mehr gelingen / dieser vers: klebt zuviel staub / hinter der aufgetönten furnier.“ Die Anklänge an Rilke, Benn oder Kleist muten dort ganz natürlich an, wo sie lässig, wie nebenbei, Miseren aufrufen, beim Lokalaugenschein im Heurigen oder im Biergarten: „schaumgekrönte küsse / pisse, flatulenzen, neue / schläuche alte bräuche / ins finale röhren kehlen/ schlecht verdautes.“ Da und dort im zweiten Abschnitt „artgeredet“ hat die Ironie angesichts von Redensart und verquerer Meinungsmache im Blasmusiktaumel etwas Verzweifeltes.

Die Farbe Blau irrlichtert durch den Band, der „schönheitsdunklen emotion“ steht das Metaphernfeld des Brennens gegenüber, erledigt scheint die Llebe, nicht aber die Dichtung, die „ins mark“ trifft. „ausleuchten“ heißt Petriks düster glühendes Gedicht zum Tod Hertha Kräftners am 13. November 1951 durch eigene Hand, man hat sie mit falscher Routine eine Frühvollendete genannt: „atemlos heilt jede wunde jetzt / seit immer – exitus letalis / schräg ein lächeln / augen auf das letzte / wort ist nicht gesagt.“
Daniela Strigl, Rezension im Presse-Spectrum vom 20. Mai 2023, S. V https://www.diepresse.com/6289741/dine-petrik-das-lyrische-ich-schlaegt-alarm


Semier Insayif: Rezension zu: Dine Petrik, „Handgewebe lapisblau“
„Handgewebe lapisblau“, so der Titel des neuen Gedichtbandes von Dine Petrik. Es sind 66 Gedichte, die in drei Kapiteln ein rhythmisch-akzentuiertes sowie thematisch vielfärbiges Geflecht ergeben.

Dabei zeigt sich ein intensives und spannungsgeladenes poetisches Gewebe. „… wie ein knall /der riss durchs alphabet / nachdem längst schon das lapis / blau der Göttin Ischtar leer /geplündert …“ Wir befinden uns also in den ältesten Kulturen zwischen Euphrat und Tigris (an anderer Stelle sogar in der Steinzeit), nah an der mythischen Gottheit Ischtar, die für diesen Gedichtband durch ihre Unfassbarkeit und in sich vereinende Gegensätzlichkeit symbolisch stehen könnte. Kulturen und Schriftzeichen, Schönheit und Zerstörung in wilder Abwechslung, die einem beim Lesen den Atem rauben können. „wie im kehrreim lief / durchlief sich dieses auskragende gesangstück leben“.

Liedhaftes wird von Beginn an in Facetten gezeigt und vorgeführt. Von Nietzsches Nachtgesang über Bach, Blasmusik und Luigi Nono zu Joni Mitchell und Tom Wates. Reime, Enjambements und Assonanzen. Dazwischen der Blick eines Kindes, Pandemisches, Maskenhaftes und Maskiertes, Politisches und Gesellschaftskritisches und Stille. Ein lautes, zartes, scharfes und stilles Handgewebe, dieses sprachreflexive Textil zwischen zwei Buchdeckeln. […]
Semier Insayif, Rezension im Feuilleton der Furche #21/23 vom 25. März 2023 https://www.furche.at/kritik/literatur/ganz-dicht/semier-insayif-handgewebte-poesie-und-kometenhafte-sprachflugkoerper-11018800


Astrid Nischkauer: Rezension zu: Dine Petrik, „Handgewebe lapisblau“
Unter Handgewebe lapisblau stellt man sich einen sehr fein gewirkten Stoff vor, durchscheinend und weich. Wie fein dieser Gedichtband gewebt ist, verrät bereits das Inhaltsverzeichnis, in dem einige der direkt aufeinander folgenden Titel in engem, klanglichen Bezug zueinander stehen – wie kampf und krampfverwehrt und versehrt, oder meisterhaft und augenhaft.

Die Fäden, welche die Gedichte in Dine Petriks Handgewebe lapisblau zusammenhalten, sind jedoch weniger stofflicher als musikalischer Natur. Denn ihre Gedichte sind mehr komponiert als geschrieben, werden getragen von Musikalität und kreisen oft auch thematisch um Musik:

ELEGISCH 
[...] 
nahe töne, bogenstriche 
tonkontinuen, verwobene 
nuancen eng verschlungen 
gehen tief entlang der 
notenskala 
– stille 
dieser zustand glück inside 
ein arioso das wort tränen 
unterdrücken 
tiefe atemzüge

ist nicht nachzusingen 
: Schuberts streichquintett c-dur 
(Seite 22) 

Schon Gedichttitel wie schlafliedwien liedvirtuosandantepausefuriosmondlied, oder chorgesang verweisen direkt auf Musik. Diese wird als etwas beschrieben, das bereits in der frühesten Kindheit Halt zu geben und Trost zu spenden vermochte.

TRÄUME 
gibt kein reden fragen furien heulen hören 
nicht mehr auf im kopf im kinderkopf fiebrige 
schleier fest hineingemummelt in die angst 
die skala steigt fast bis hinüber rostige zeiger 
scharren aus im fahlen schneelicht da und dort 
ein baum ein haus das boot das blaue ob es 
trägt es tragen wird das blaue boot nach 
ziehen nicht besteigen aus dem eismond 
schlingern töne klarinettentöne – 
erster anhalt für das kind 
(S. 52)

Neben Franz Schubert werden unter anderem auch Gustav Mahler, Richard Wagner, Tom Waits, David Bowie, Mick Jagger, Benjamin Britten, Béla Bartók und Luigi Nono in den Gedichten thematisiert. Musik als Teil der Menschheitsgeschichte lässt sich bis zurück in die Steinzeit belegen:

SCHLAFLIED 
[...] 
klangsteine 
trommelstöcke 
taktsignale, erste 
evidenzen für musiken 
(S. 10)

Von musikalischen Äußerungen der Steinzeit zu den sogenannten neuen Medien: Dine Petrik spannt souverän einen weiten Bogen von den Anfängen der Menschheit bis in unsere Gegenwart:

GUTER JOB 
[…] 
twittert sich tag 
täglich hin und her 
ins nimmermehr – 
(S. 76)

Weltzugewandt sind die Gedichte auch in anderer Hinsicht, wenn sie Worte finden für Krieg, atomare Verstrahlung, oder die Zerstörung von kulturellem Erbe:

WÜSTENSEGEL 
[…] 
der riss durchs alphabet 
nachdem längst schon das lapis 
blau der göttin Ischtar leer 
geplündert, längst der 
letzte zikkurat zertreten 
von soldatenstiefeln 
platt getreten ist 
(S. 13)

Strophen werden auf dem Bahndamm gepflückt und „wilde jamben/ treten grenzen ein“ während in den Gedichten „wortstaub der das nichts bedeckt“ aufgewirbelt wird: „das wunderfieber buch“ ist höchst ansteckend und Handgewebe lapisblau von Dine Petrik überaus lesenswert!
Astrid Nischkauer, Rezension im Buchmagazin des Literaturhaus Wien, online veröffentlicht am 17. Mai 2023, https://www.literaturhaus.at/index.php?id=13930


Helmuth Schönauer: Gegenwartsliteratur 3171
Großes Stimmungskino kann in der Literatur oft mit einem Farbton umschrieben werden, man denke an die rosa Brille oder den alle Sinnesorgane umfassenden Blues.

Dine Petrik setzt ihre Gedichte hinter eine Linse aus „lapisblau“, fein assoziierend, dass rare Farben oft herhalten für politische Formationen, man denke nur an die Blauen oder die Türkisen. Das Genre „Handgewebe“ deutet freilich auf manuelle Kunstfertigkeit hin, auf Geduld von Gewebe und fein gegliederter Stofflichkeit. Ein mit der Hand geschriebener Text kann so als Textur von einzigartigen Arbeitsschritten gelesen werden.

Die 66 Gedichte sind im Inhaltsverzeichnis als dreigliedriges Tafelbild ausgeschildert, die Kapitel sind überschrieben mit lyrics (7), artgeredet (31) und vertont (49). Alle Begriffe verweisen auf eine spezielle Art, wie man mit Gedichten umgehen könnte. Auf die musikalische Nuance folgt eine auf Kunst gemachte sublime Form, und der weiteste Schallraum ergibt sich, wenn er als Tonsammelsurium schlechthin auftritt.

Die Härte der Vokalisierung, mit der Friedrich Nietzsche im Nachtlied die Menschheit warnt, steht als Motto für „lyrics“, in denen balladenhaft die Entgleisung der Weltlage zur Sprache kommt. „O Mensch gib acht in tiefer Nacht“ mutiert zu einem Schlaflied der Evolution. Beim Versuch, in Frieden einzuschlafen, ist die Menschheit von Steinzeit an in ein Trommeln verfallen, das vom permanenten Irrsinn berichtet. Alles, was auf uns überkommen ist, ist längst in uns festgeschrieben.

Keine noch so schöne Hand kann aus diesem Desaster hinausführen, wenngleich es schöne Szenen gibt, worin das Kind lernt, was man mit einer offenen Hand alles anstellen kann. Mit dem Handy spielen beispielsweise. (11)

Im Wort-Umfeld von „Beirut“ ist oft Alarmierendes ausgestreut, Blut, Schmerz, Desaster, aber heute ist es nur ein Aquarell, worin diese Apokalypse sich auf dem Papier in Schlieren verlaufen hat. Verschwommen erkennbar sind die Insignien der Machthaber, eingeritzt als Tattoo des Schreckens.

Diese Motivlage schlägt zwischendurch Brücken zur Dichtkunst der Hertha Kräftner, die an anderer Stelle von der Autorin mustergültig im Nachklang betreut wird.

„Ausleuchten // ein kurzer widerhall / der seele noch in dem gesicht / in eine ferne ohnegleichen // […] // schräg ein lächeln / augen auf das letzte / wort ist nicht gesagt // (Tod Hertha Kräftner, 13.11.1951)“ (28) Dieses „Ausleuchten“ ferner Biographien, Poetiken und Lebensentwürfe bedient sich der Farbe „lapisblau“, in der Kälte und Ferne in Wallung verschmelzen. Die Farbe wird während der Meditation zu einer Vibration.

„artgegeredet“ (31) erzählt von Zuständen und Prozessen, welche in den Devotionalien, Artefakten und Alltagsminiaturen eingearbeitet sind. Handlesen, Videos und Fotos sind Verfahrensweisen, die sich erst entfalten, wenn sie wie ein Buch aufgeklappt sind. So braucht es zwei Vorgänge, um aus der Hand „schlau zu werden“, wenn sie das eine Mal Slow Food in die Hand nimmt, und ein andermal Töne aus der Tuba greift. Im nächsten Schritt mutiert die Hand zu einer Grimasse und der Tuba entströmt der Geruch aus verstopftem Klo (34).

Artgeredet werden später Videos und Fotos, man könnte auch schöngeredet dazu sagen. „vielleicht, sage ich, ist das ja alles / hier nicht mehr als eine stufe himmel“ (46)

„vertont“ (49) handelt von Klangflächen und Ton-Bühnen, die einerseits artifiziell installiert sind, andererseits unkalibriert als Alltagsbeiwerk auf die Rezipienten einströmen. Es sind die Eingriffe des beschallten Ichs, welche das Beiläufige bewusst machen. Ein Augenblick kann sich ungestüm wie ein Traum gebärden, wenn in einem Kinderkopf das Erziehungsuniversum zu einem einzigen Sound verklumpt wird, ein Augenblick kann sich aber auch als Schrei Luft machen, der ins Mark zieht. Aufgewühlt gehen selbst Gesänge ins Mark, denn „Literaturen ja / und die Lyrik ist im Grunde alles / mehr ist nicht zu sagen.“ (54)

Talk Radio schiebt Geräusche über Europa, es wird allerhand gesagt dabei, aber das Entscheidende steht zwischen den Zeilen: „wir sind die eingezäunte Fläche“. (57)

Allmählich kommen die Gedichte an ihr Ziel. Ihre Überschriften lassen sich hintereinander gelesen als jenes Meta-Gedicht lesen, auf das es vielleicht ankommt. Der letzte Bogen lautet: Meisterhaft – Augenhaft – Stille. „das genügt / um diese zeile hier / jetzt zu verlassen / : stille“ (79)

Dine Petrik zeiht die Leser mit sanftem Stupfen hinein in das Handgewebe, das sie geflochten hat. Es sind viele Einladungen ausgesprochen, zwischen den Zeilen Platz zu nehmen und sich einzulassen auf diesen mystischen Zustand, der aus der Farbe herauswummert, wenn man sich unvoreingenommen in das Lapisblau fallen lässt.
Helmuth Schönauer, Rezension veröffentlicht am 15. März 2023


Petra Ganglbauer: [Rezension zu: Dine Petrik, „Handgewebe lapisblau“]
Einer ungeheuren Spannung sind die jüngsten Gedichte Dine Petriks ausgesetzt, einer Spannung in der Textur dieser ebenso straff wie souverän komponierten Lyrik. Der so gespannte Bogen entsteht nicht nur aus der exakten Architektur und singulären Stimmführung, sondern auch aus dem Inhalt dieser Gedichte.

In einem unausgesetzten Kräftemessen finden sich das „Hier & das Dort“, das „Noch Nicht“ wie das „Nicht Mehr.“ Es gibt somit keinen Stillstand in diesen vitalen, atemlosen Texten, die so aufmüpfig und widerständig anmuten und die Poetisierung des Gesellschaftsalltags vorantreiben.

Was für ein Rhythmus macht die Qualität dieser Gedichte aus! Ein wiederkehrender „Run“, der mittels Interferenzen oftmals gezielt unterbrochen oder gestoppt wird.

„abstand halten von den falten/ rissen an der stirn noch über den/ september jede vorstellbare tat/ die wechselspiele eros-tanatos/bei Britten: cantus firmus“
(VORSTELLBAR)

Sehr empfehlenswert!
Petra Ganglbauer, Rezension auf der Webseite des BÖS. Berufsverband Österreichischer SchreibpädagogInnen, veröffentlicht am [31. ?] März 2023https://www.bös.at/rezensionen/buchtipps-fuer-den-fruehling-2/


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Ich bin wie ein kaltes Reptil

Barbara Beer: Einer fast Vergessenen auf der Spur
Sie starb wie Jimi Hendrix, wie Marilyn Monroe, wie Schnitzlers Fräulein Else.
Die spekulative Einleitung möge verziehen sein. Eine wie Herta Kräftner braucht sie wahrscheinlich. Nicht viele erinnern sich an die österreichische Lyrikerin und Erzählerin, Autorin finsterer, beklemmender Gedichte, ewige Hoffnungsträgerin.
Am 13. November 1951 starb Herta Kräftner mit erst 23 Jahren an einer Überdosis Veronal. Sie hat lange durchgehalten. „Denn ich bin schon eine Tote“ schrieb sie mit 17. 1928 in Mattersburg geboren, war ihr nur eine kurze Schaffensperiode beschieden. Kräftner gehört nach wie vor nicht zum literarischen Kanon, ist gewissermaßen Geheimtipp geblieben. In den 1980er-Jahren wurde ihr Werk neu aufgelegt, feierte bescheidene Erfolge. Die österreichische Autorin Dine Petrik begibt sich mit ihrem Buch „Ich bin wie ein kaltes Reptil“ weiter auf Spurensuche. Wobei: Klassische Biografie ist dieses berührende Porträt keine. Ein „Sittenbild“ will Petrik liefern. Ja, das gelingt. Und jetzt rasch Kräftner-Gedichte lesen.
Barbara Beer, Rezension im Kurier vom 3. Dezember 2023

Was geschah mit Hertha K.? Ö1 - Salzburger Nachtstudio vom 7. Sept. 2022Ich habe gerade das “Salzburger Nachtstudio” vom vergangenen Mittwoch nachgehört – und bin noch immer im Bann dieser Stunde. So eine dichte (und auch ein bisschen traurige) Sendung habe ich schon lange nicht mehr gehört. Mein Glückwunsch allen Beteiligten.
Günter Kaindlstorfer 


Dine Petrik hat ihre in diesem Jahr erschienene Neu-Auseinandersetzung mit der Autorin Hertha Kräftner, die einen Teil ihrer Jugend in Mattersburg verbracht hat, um weitere Details ergänzt: Man gewinnt vertiefte Einsichten in Lebens- und Arbeitsbedingungen der Autorin und auch mancher über sie tradierte Mythos wird korrigiert. Petriks Buch ist eine sehr genaue, einfühlsame und mit Mitteln der Poesie aufgebrochene, hinterfragende aber zugleich sehr lebendige Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Umständen, familiären Wurzeln und Zwängen der 1928 geborenen Schriftstellerin, die im Alter von 23 Jahren Suizid verübte. Vor allem aber rückt Petrik die Kraft des Werks der Autorin in den Blick. Dine Petrik wird in ihrer Lesung ihr aktuelles Buch vorstellen, zugleich gibt es die Möglichkeit, im Gespräch mit der Literaturwissenschafterin Daniela Strigl Leben und Werk Hertha Kräftners im Kontext ihrer Zeit einzuordnen und zu betrachten. Dabei wird auch die Situation der schreibenden Frauen zu jener Zeit Thema sein, vor allem die Schwierigkeit der weiblichen literarischen Positionierungen im kulturellen Umfeld der Nachkriegszeit. 
Mag. Barbara Mayer, Literaturhaus Mattersburg


Buch über Hertha Kräftner 
“Ich bin wie ein kaltes Reptil.” Sie zeichnen ihr Lebens- und Liebesschicksal eindrucksvoll nach. Das geht tief. Eine junge Frau, die verletzt und traumatisiert ihr Leben und Lieben mit dem Schreiben gestalten will. Die Fallstricke sind zu gefährlich für sie, sie scheitert. Ihre Liebesstimme bleibt.
Dr. Klaus Rückert, ARGE Bildungsmanagement 


Was geschah mit Hertha K.?
Ich habe den Beitrag gehört.
Sehr berührend, fesselnd, beklemmend, fallweise stockt einem der Atem.
Dr. Josef Fally, Autor, Historiker Herausgeber, Deutschkreutz


Erwin Köstler:

Der literarische Rang Hertha Kräftners (1928–1951) ist heute unbestritten, die Germanistik zählt sie zu den bedeutenden österreichischen Lyrikerinnen der Nachkriegszeit. Trotzdem hat sie es nicht in den Kanon der österreichischen Literatur geschafft, was von akademischer Seite meist damit begründet wird, dass die literarische Öffentlichkeit zu lange auf die biographische Interpretation ihres Werks fixiert gewesen sei. Die bislang letzte, 1997 erschienene Werkausgabe von Gerhard Altmann und Max Blaeulich habe die Verschränkung von Werk und Biographie noch strukturell hervorgehoben, indem sie Gedichte und Prosa, private Notizen und Mitteilungen gleichranging behandelt habe. Eine intensivere akademische Beschäftigung mit Hertha Kräftner sehen wir allerdings erst nach der Jahrtausendwende, als die Forderung nach einer literarischen Kontextualisierung (nicht lebensgeschichtlichen Interpretation) ihres Werks laut wurde. Diese Forderung wurde im Extremfall so wörtlich genommen, dass man bedauerte, dass Kräftner selbst ihre Texte so penibel datiert hat, weil sie damit ja einer biographischen Lesart quasi Vorschub geleistet habe. Eine wissenschaftliche Biographie, die die Autorin im kulturgeschichtlichen Kontext ihrer Zeit darstellen würde und die wohl auch eine wichtige Basis für eine kritische Gesamtausgabe wäre, gibt es indes bis heute nicht.

Genau hier setzt die kürzlich erschienene, als „Spurensuche und Sittenbild“ untertitelte Monographie von Dine Petrik an, die sich zwar nicht mit wissenschaftlicher Methodologie, aber doch auf der Grundlage intensiver Recherchen der Biographie Hertha Kräftners annimmt, um ein klareres Bild der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Autorin zu gewinnen und auch manchen über sie tradierten Mythos zu korrigieren. Es handelt sich um die überarbeitete und gestraffte bzw. um einige Details ergänzte Version des 2011 erschienenen Buches Hertha Kräftner. Die verfehlte Wirklichkeit, und es ist sehr zu begrüßen, dass das Werk nun in neuer Gestalt wieder zugänglich gemacht wurde. Denn, wie Petrik an anderer Stelle wissen lässt: Das letzte Wort ist nicht gesagt.

Ausführlich widmet sich Petrik der familiären Situation und den Erfahrungen der Ab- und Ausgrenzung, die die kleine Hertha ab dem sechsten Lebensjahr (dem Umzug von Wien nach Mattersburg) machte. Der Vater, ein ehemaliger Rotgardist und bis zum Anschluss Verkäufer in einem jüdischen Textilgeschäft, wurde in dem sich zusehends radikalisierenden politischen Klima der 1930er Jahre von den Ortsansässigen geschnitten. Von der Mutter wurde Hertha wie eine „Modepuppe“ ausstaffiert, sie durfte sich nicht schmutzig machen und wurde deshalb bald von den anderen Kindern gemobbt. Hertha verlegte sich darauf, zu leisten, war Klassenbeste, ging, sooft sie in Wien war, mit der sie verwöhnenden Wiener Tante ins Burgtheater. Das Kind muss früh gelernt haben, „Unsicherheit mit Überlegenheit“ zu kompensieren, auch um der Starrolle gerecht zu werden, die ihr die Familie zum Ausgleich für die verlorene Reputation des Vaters zuwies. Und Hertha habe diese Rolle auch zu spielen gewusst.

Einen biographischen Bruch stellt die Vergewaltigung der Siebzehnjährigen durch (angeblich vier) Soldaten der Roten Armee Ende März 1945 dar – ein Ereignis, das mittelbar zum Tod zweier Personen, eine davon der eigene Vater, führen sollte. Entgegen der in der Literatur tradierten Darstellung, wonach es zu einem „Handgemenge“ zwischen dem Vater und einem zudringlichen russischen Offizier gekommen sei, in dessen Verlauf sich ein tödlicher Schuss „gelöst“ habe und anschließend der Vater noch durch einen Säbelstreich am Hals verwundet worden sei, geht Petrik davon aus, dass der Offizier im Haus war, um Ruhe zu schaffen, und sie schließt auch nicht aus, dass der Herzschuss, der die anwesende Hebamme Emilie Adam tötete, vorsätzlich zugefügt wurde. Warum es dazu kam, ist nicht überliefert, die Hebamme sei aber davor ins Haus gerufen worden, um die misshandelte Hertha zu versorgen. Die Zeitzeugen, die Petrik zu dem Vorfall interviewte, berichten, dass man in Mattersburg über die Umstände, die zu dem Vorfall führten, Bescheid gewusst habe; Herthas Fall sei aber nur einer unter vielen gewesen, über die man kaum im engsten Familienkreis sprach, einerseits, weil man irgendwie weiterleben musste, andererseits auch deshalb, weil in der kollektiven Mentalität der Provinz eine vergewaltigte Frau mit einem schweren Makel behaftet war, wenn sie nicht überhaupt als Soldatenhure galt. Kräftner zog nach den tragischen Ereignissen jedenfalls zur Tante nach Wien, den noch fünf Monate lang im Krankenhaus dahinsiechenden Vater sollte sie kein einziges Mal besuchen.

Für Petrik steht fest, dass die multiple Traumatisierung durch dieses Ereignis (die Vergewaltigung, der Tod zweier Menschen, für den sie sich verantwortlich fühlte, die Unmöglichkeit, über das Geschehene zu sprechen, weil es selbst in der Familie unter den Teppich gekehrt wurde) klar benannt und berücksichtig werden muss, um die Auswirkungen des Erlebten auf Kräftners Sozialverhalten und letztlich auch auf ihren Umgang mit Männern richtig einzuschätzen. Die tradierten Charakterisierungen Kräftners von Seiten ihrer literarischen Mentoren seien dabei wenig hilfreich, weil diese im Grunde Teil des Problems seien. Es liegt auch nahe, Kräftners manifeste Depression, die chronischen Kopfschmerzen, das Sammeln von Tabletten („fürs Abschalten und Anwerfen“), zuletzt auch die Angst, verrückt zu werden, von der die Autorin mehrfach berichtet, auf das nicht bewältigte Trauma zurückzuführen, obwohl es dafür keine Belege gibt. „Dass das Gewesene ungesühnt bleibt“, so Dine Petrik, „wäre wohl noch verkraftbar gewesen. Nicht aber das Schuldsein.“ Therapeutische Möglichkeiten boten sich für Hertha jedenfalls keine, weil man in der allgemeinen Nachkriegsnot die Konsultation eines Psychiaters nicht als vordringlich erachtete.

Unter Kräftners literarischen Mentoren ist zunächst Hermann Hakel zu nennen, der ihr 1949 die erste Publikation in seiner Zeitschrift Lynkeus verschaffte. Hakel sei in der Wiener Szene dafür bekannt dafür gewesen, sich gern despektierlich über die Literaten und Literatinnen, die ihn konsultierten, zu äußern und Autorinnen sexuell auszubeuten, was Kräftner allerdings nicht davon abgehalten habe, sich mit ihm einzulassen. Von ihm stammt der Sager über die „allzuwillige Nymphomanin“, darüber hinaus brachte er intime und diskreditierende Details über Kräftner in Umlauf, im Übrigen verhalf er ihr zu keinen weiteren Veröffentlichungen mehr. Petrik konstatiert in diesem Zusammenhang bei Kräftner ein problematisches „Buhlen um Beachtung bei jenen, die ihre Verachtung verdient hätten“ – bei allem ansonsten klaren Blick, den sie auf den Literaturbetrieb und seine männlichen Protagonisten hatte (wie aus ihren eigenen Notaten und Briefen durchaus hervorgeht). Wie viele andere sei sie schließlich zu Hans Weigel „übergelaufen“, der sich für seine „Schützlinge“ tatsächlich einsetzte. (Den Rat, sich an Weigel zu wenden, hatte übrigens der von ihr konsultierte und bewunderte Viktor Frankl gegeben). Wie weit aber auch hier das paternalistische Verhältnis gegenüber einer jungen Autorin ging, zeigen Weigels Bonmot über Kräftner als einer „Selbstmörderin auf Urlaub“ und die an sie gerichtete Aufforderung, ihm eine Ansichtskarte zu schicken, wenn sie den Urlaub zu beenden gedenke. Die Karte mit dem sarkastischen Text „Ich werde es nicht mehr tun“, die Kräftner unmittelbar vor ihrem Selbstmord an Weigel schickte, habe noch jahrelang und für jeden Besucher sichtbar über seinem Arbeitstisch gehangen.

Kräftners Verhältnis zu den Männern erweist sich in jedem Fall als ambivalent. Einerseits suchte sie Sicherheit in einer langdauernden Beziehung, andererseits hielt sie sich alle Türen offen, um sich nicht binden zu müssen. Bis zu ihrem Tod 1951 verband sie eine fünfjährige Beziehung mit Otto Hirss, der Kräftners „Liebeseskapaden“ offenbar zu tolerieren bereit war – der sich im Gegenzug allerdings auch unmittelbar nach Kräftners Tod ihren literarischen Nachlass unter den Nagel reißen sollte. Die kurze, aber heftige Beziehung zum Fotografen Harry Redl interpretiert Petrik als „eine weitere Option, die sie nicht zu schließen gedenkt“. Mit Wolfgang Kudrnofsky, den Petrik als einen aalglatten, eitlen Frauenhelden charakterisiert, der die Beziehung posthum literarisch ausgeschlachtet habe (vgl. seinen 1979 erschienenen Erinnerungstext Mein Leben mit Hertha Kräftner), war sie die letzten zweieinhalb Monate ihres Lebens liiert – was sie allerdings nicht daran hinderte, sich Tage vor ihrem Selbstmord noch mit Otto Hirss zu verloben. Die von Petrik ins Spiel gebrachten Verlustängste könnten zumindest einen Erklärungsansatz für das auffällige Hin und Her zwischen den Männern und die permanent sich verlagernde Suche nach Nähe dienen; andererseits aber kann man aus Kräftners teils ironischen bis sarkastischen Notaten herauslesen, dass die Männergeschichten für sie nicht ganz die Bedeutung gehabt haben dürften wie für die Nachwelt, die um die Autorin (bei all ihrer schriftstellerischen Begabung) das Narrativ von einer lebensuntüchtigen, nach der führenden männlichen Hand förmlich bettelnden Frau schuf.

Ob als traumatisiertes Opfer nicht beherrschbarer Umstände oder als Protagonistin mit ausgesprochen selbstbewussten und irritierend pragmatischen Zügen: Das Bestimmende am Bild Hertha Kräftners scheint seine Widersprüchlichkeit zu sein. Petrik stellt diese auch in Kräftners Schriften fest, spricht von sentimentalen Ich-Stilisierungen in ihrer frühen Lyrik, denen in den zeitgleichen Briefen an Otto Hirss aber eine Diktion gegenüberstehe, als schriebe hier keine Siebzehnjährige, sondern „eine ältere, reife Frau“. Dem ungemein scheuen, fast verzagten Menschen, den Viktor Frankl in ihr sah, steht die Autorin des Textes Wenn ich mich getötet haben werde gegenüber, den Petrik geradezu als „Manifest und Kraftakt“ und als „zynische Abgrenzung“ von ihren Mentoren bewertet, die ihr, wie Weigel, ein „Liebäugeln mit dem Tod“ unterstellten.

Zwei Protagonisten in Kräftners Leben, Hirss und Kudrnofsky, hat Petrik nach der Jahrtausendwende noch persönlich interviewt; das Urteil über sie fällt angesichts der Ignoranz und Selbstbezogenheit der Gesprächspartner verheerend aus. Ein wichtiger Gesprächspartner war Herthas Bruder Günther Kräftner, der eine Menge Details über seine Schwester und über die Haltung der Einheimischen ihr gegenüber berichten konnte. Darüber hinaus aber betrieb Petrik eine regelrechte Feldforschung. Ihre Rekonstruktion der Ereignisse nach der Vergewaltigung Kräftners beruht auf voneinander unabhängigen mündlichen Quellen, u. a. auf einem Gespräch mit den Nachkommen der damals zu Tode gekommenen Emilie Adam. Gespräche, die Petrik mit Bekannten der Familie Kräftner und mit einer mehrfach erwähnten Schulfreundin Herthas in Mattersburg führte, vermitteln allerdings auch einiges an Geringschätzung gegenüber der überdrehten Autorin, die sich für etwas Besseres gehalten habe. Einmal bekommt die Interviewerin auch die Empfehlung zu hören, sich mit „der“ lieber nicht zu beschäftigen, wenn sie nicht depressiv werden wolle.

Und nicht zuletzt bringt Petrik sich selbst in die Erzählung ein, als Menschen, der aus derselben mittelburgenländischen Provinz wie Hertha Kräftner stammt und mit ihr Erinnerungen an die Landschaft ihrer Herkunft (den Rosaliahügel, den Sieggraben) teilt. Vor allem aber setzt sie sich zum Zeugen des diese Landschaft bewohnenden kollektiven Verdrängens und Verschweigens ein, welches für Hertha Kräftner vermutlich fatal war und auch Petriks eigenes Aufwachsen in der Nachkriegszeit nachhaltig geprägt hat. Wer genaueres darüber erfahren möchte, sollte Petriks beeindruckenden, 2018 erschienenen Kurzroman Stahlrosen zur Nacht lesen.

Zur Publikation selbst: Es wäre schön gewesen, irgendwo im Buch einen Hinweis darauf zu finden, dass es sich bei der nun erschienenen „Spurensuche“ um eine überarbeitete Neuausgabe des Buches von 2011 handelt. Auch wird nirgends mitgeteilt, dass das Vorwort von Daniela Strigl aus der damaligen Ausgabe übernommen wurde; dafür ist schon im ersten Satz dieses Vorworts – „Hertha Kräftner war eine Frühvollendete“ – eine auffällige Abweichung von der Version von 2011 zu finden, in der zu lesen war, dass es sich eben um keine Frühvollendete handle. Auch ist ein bisweilen nicht durch Zitat motivierter Wechsel zwischen neuer und alter Rechtschreibung festzustellen, der sich vermutlich aus der Übernahme von Textpassagen erklärt und vom Lektorat übersehen wurde. Diese Fehler tun dem Wert der Publikation aber keinen Abbruch. Der Text selbst ist gekürzt und in der Diktion vereinfacht, was das Lesetempo erhöht, ihm aber auch etwas von seiner ursprünglichen expressiven Verve und seinem unverblümten Sarkasmus nimmt, schon in den Kapitelüberschriften: statt „Mentoren und Patriarchen“ steht nun „Entdecker und Förderer zu lesen“; der „Schutzpatriarch“ Weigel wird zum platten „Förderer“ usw.; auch wurden etliche sehr explizite Zitate herausgenommen, über die die Ausgabe von 2011 noch verfügte. Insgesamt aber tut diese Überarbeitung dem Buch gut, denn manches in der älteren Ausgabe war einfach auch redundant; und harter Stoff ist das Buch allemal geblieben.
Erwin Köstler, Rezension im Buchmagazin des Literaturhaus Wien, online veröffentlicht am 12. Juli 2022, https://www.literaturhaus.at/index.php?id=13603&L=0


Franz Vesely:

Ihre vielschichtige, von einer schönen Empörung getragene Annäherung an die Dichterin Hertha Kräftner hat mich fasziniert. 
Prof. Dr. Franz J. Vesely, Kurator des Franklschen Privatarchivs am Viktor Frankl Institut Wien, in einem Schreiben an Dine Petrik


Mia Eidlhuber: Fatales Futur exakt

Wenn ich mich getötet haben werde, so lautet der ungeheuere Titel eines Essays von Hertha Kräftner, jener aus dem Burgenland stammenden Schriftstellerin (1928–1951), die sich 23-jährig mithilfe einer Überdosis Veronal das Leben nahm. 
„Etliche ihrer Gedichte gehören zum Schönsten und Eindringlichsten, was nach 1945 in diesem Land geschrieben wurde“, schreibt die renommierte Literaturkritikerin Daniela Strigl im Vorwort zu Dine Petriks Ich bin wie ein kaltes Reptil, einer Spurensuche und einem Sittenbild, wie der Untertitel verheißt, denn die ebenfalls aus dem Burgenland stammende Kräftner-Expertin (Die Hügel nach der Flut. Was geschah wirklich mit Hertha K.?, Otto Müller, 1997) nimmt ihre angestrengten und ausführlichen Recherchen zu diesem kurzen Leben höchst persönlich und wirft damit noch mehr Licht auf das Dunkel im Leben „der Kräftner“, die uns in so kurzer Lebenszeit und so nachhaltig kraftvoll aufgeschrieben hat, was es heißt, Mädchen zu sein. Und Dine Petrik macht daraus wiederum Literatur.
Mia Eidlhuber, Rezension im Standard-Album vom 2. Juni 2022, S. A6


Petra Ganglbauer: Herta Kräftners Ringen
Eine weitere ambitionierte und exzellent recherchierte Auseinandersetzung Dine Petriks mit Leben und Werk Herta Kräftners liegt mit diesem ihrem jüngsten Buch vor. Eine äußerst konzise und stilistisch phasenweise aufgebrochene, lebendige Befassung mit den gesellschaftlichen Umständen und familiären Wurzeln und Zwängen der 1928 geborenen Schriftstellerin, die im Alter von 23 Jahren Suizid verübte; mit den Auswüchsen ihrer psychischen Erkrankung wie deren Niederschlag im Werk Kräftners. 
Dine Petrik wechselt souverän zwischen (literatur)historischen Aspekten, familiären und regionalen Bedingungen, Herta Kräftners Ringen um innere und äußere Stabilität und beispielgebenden Textstellen. 
Sie behandelt überdies auch die den schreibenden Frauen zu jener Zeit nicht zugestandene literarische Positionierung.
Petra Ganglbauer, Rezension auf der Webseite des BÖS. Berufsverband Österreichischer SchreibpädagogInnen, veröffentlicht am 16. Juni 2022, https://www.bös.at/rezensionen/buchtipps-fuer-den-sommer/


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Traktate des Windes

Rückenwind für die Poesie
”Einige Lyrikbände machen die Luftbewegung gar zu ihrem Leitmotiv. Offenbar mit gutem Grund: “Der Wind erweist sich als kongenialer Schirmherr der Poesie, beweglich, flüchtig und spielerisch, elementar und machtvoll”, schreibt Daniela Strigl im Nachwort zu Dine Petriks “Traktate des Windes” (Bibliothek der Provinz, 2019), und schon der Untertitel zeigt, wofür der Wind hier vor allem steht: Klage – Getöse – Flucht”,. Petriks Gedichte greifen weit aus, geografisch genauso wie zeitlich: Palmyra, Solon, die Sahara, Qumran werden ebenso besungen wie der Fußball, die Wiener U-Bahn und der Augarten - mal im hohen Ton, mal eher leise und dezent.
Das Gedicht ist für die 1942 im Burgenland geborene Petrik “eine art der beugungsform”, ein “wortgefecht. Mitunter schießt sie dabei übers Ziel hinaus, wenn die Qualität ihres Wortspiels (maosoleum”) oder einer Doppeldeutigkeit (Aug-artenfiguren”) allzu demonstrativ vorgeführt wird. 
Am besten ist sie dort, wo sie ihre sprudelnde lyrische Energie ein wenig drosselt. Etwa in dem Schlussgedicht “Chrysanthemen”, einem November und Totengedicht, das wundersam schillert zwischen “bleich” und “rubinrot”: “Du gingst ohne Abschied / nahmst mit dir auch das / was mir nie gehört hat und / doch so rubinrot jetzt färbt / 
deine rosen am grab”.
Andreas Wirthensohn, Wiener Zeitung EXTRA, 14./15.Dezember 2019


KRAFTVOLLE GEDICHTE
Manchmal tänzeln ihre Worte fast zärtlich über ein Blatt um dann aber im Gedicht vereint eine spektakuläre Kraft zu entfalten.
Die im Burgenland geborene Dine Petrik komponiert in “Traktate des Windes” sozusagen in den Gefühlslagen “Klage. Getöse. Flucht”  
PS: “Ein großartiges Werk-”
13 Euro, Verlag Bibliothek der Provinz
Viktoria Kery-Erdelyl: Die BURGENLÄNDERIN, Gesellschaftsmagazin: Das schöne Geschenk -
Dezember 2019


Mit welcher Art von Traktaten haben wir es hier zu tun? Verstauben sie in verlassenen Bibliotheken oder handelt es sich um bunte Sektentraktätchen, die der Wind über die Mariahilfer Straße weht? Doch nein: schon im ersten Gedicht Solon geht spricht der Athener Staatsmann (und politische Lyriker!) stolz „meine thesen und traktate sind gesetz!“. Doch auch weise Männer können sich über- und verschätzen, und wie aus dem Nichts bricht alles zusammen: „über nacht verwirrung: datenverwirrung!“ Geistiges Chaos, olfaktorisch untermalt: „üble gerüche in athen!/meine traktate nehmen schaden“. Gerüche und vermutlich auch mindestens so üble Gerüchte in diesem Gedicht, das man als Petriks Kommentar zum Zeitgeschehen lesen kann und muss. Solon hat von seinen populistisch geblendeten Landsleuten die Nase voll, er schmeißt ihnen den Demokratiekrempel vor den Tempel und „blickt nicht mehr zurück“ – nicht einmal im Zorn.

Petriks neuer Gedichtband ist wieder eine reife und gereifte Leistung, ein wahres Panoptikum mit großer thematischer Bandbreite. Die Wendung „den rechten fuß im einerseits / und anderseits –“ aus dem Gedicht Sphinx II deute ich (für mich) als Hinweis auf die thematischen und stilistischen Polaritäten in diesem Werk. Öffentliches und Privates, Reisende und Touristen, Natur und Kultur, aber auch Natur und Naturvernichtung (Monolog der Erde in Erschütterung), Kultur und Kulturvernichtung in Palmyra „durch einen mob ohne gedächtnis“.

Petrik selbst ist eine Reisende im wörtlichen, aber auch im übertragenen Sinn. Ihr poetischer Weg führt uns zum Fudschijama mit seinem „schneeweißen cape“, an den Tian Anmen, durch Grasland und Wüste. „Schau dich erst um, bevor / nimm mich als leeres blatt für / deine überschießenden traktate / im trommelinneren tönt der wind / nachdem ich in die jahre gewallfahrtet bin“ (Savanne). Wie in der Romantik wird die Landschaft auch hier zum Spiegel der Seele und erkennt die Betrachterin in der Geometrie der Sternbilder sich selbst „orion hält mich an der hand / das hirn vor die deichsel gespannt / hackt das herz einmal kurz dreimal lang“.

In und gegen die hohe Sprache der Lyrik kartätscht Petrik immer wieder Irritationen, Störelemente, kalauernde Wortspiele, dann wieder kursive Einsprengsel aus unserem coolen Zeitgeist- und Computerspeak. Ich kenne derzeit kaum wen, der/die so souverän zwischen den Stimmen und Sprachen wechselt und doch immer unverwechselbar bleibt. Und ich denke, dass diese traumwandlerische Sicherheit im Umgang mit Sprache daher rührt, dass das Wort Petriks innigste Heimat und der Weg im Land der Worte ihre tiefste und wahrhaftigste Reise ist.

Doch auch geografische Heimaten, heiß- oder hassgeliebte, spielen in diesem Buch eine wichtige Rolle. So in Begegnung: „Wir lagern auf treppen aus minze und / gras, wir halten die stunden zwischen / den handflächen fest, wir gestehen uns / gegenwartsrechte zu: es ist alles anders / geworden, es ist alles gleich geblieben.“ Oder auch in Fluchtpunkt: „Über der stadt ein derber himmel, stets / bereit, herabzufallen auf die häuserzeilen / die auftrumpfenden fassadendächer mit / den blitzenden verglasungen, auf die in der / hitze swingenden portale, aufs morbid / duftende gemäuer, übermalt mit protzigem / schönbrunner gelb“, und endet rebellisch mit: „abertausende geschichten / Und kein platz für meine?“

Im letzten Teil finden sich die vielleicht berührendsten Gedichte, Texte zu Abschied und Tod, wobei die Trauer sogar angeblich unbeseelten Kreaturen gelten kann. Nachruf: „Meine erinnerung an dich / den letzten blick wirfst du mir von oben / herab als schweren sack um den hals / vom lastwagen oben, die TBC-marke / im rechten ohr, dein passierschein / zur schlachtbank blinkt in der sonne“. Der Tod ist die Grenze ohne Wiederkehr; eine im Leben erfahrene Distanz wird im Tod festgeschrieben. Steinern klingt die sonst so tänzerische Sprache Petriks in Daheim: „Am tisch die lampe das schweigen / die angst, die lust nicht verloren zu gehn / und um dich herum steht wie immer / ein fester zaun / nun säumt er dein grab“.
Wolfgang Ratz, Rezension im Buchmagazin des Literaturhaus Wien vom 2. September 2019
http://www.literaturhaus.at/index.php?id=12543


Der mittag wankt durch alte Reben/ balgt gelangweilt mit dem Laub
mich treibt es fort durch alte gestern: sie erinnern mich an nichts
mein zaun hat löcher und mein reden/ zweifel wachsen wie die fliederbüsche
und der ärger mit den pixeln, während er, der adler oben mit nur einem flügel
schlag die halbe stadt fotografiert
Ist unerhört, ist sowas möglich/ lachse fliegen vipern fressen aus der hand
und oft zur gleichen zeit sonne und mond/ der mond der innen mehr ist
geometrisch schlicht vermessen, außen gletschergrau/ augen burgund:
was tun, dass er mich liebt?
in wirklichkeit ist alles relativ/ nur manchmal ist was kugelrund


Fotos heißt dieses Gedicht, das nicht vom Fotografieren handelt, sondern vom flüchtigen Augenblick, der in einem Bild eingefroren ist. Von etwas also, das wir nicht wahrnehmen können, weil unser Bewusstsein ja nicht für einen Sekundenbruchteil stehen bleibt und also immer alles in Bewegung und Veränderung ist. So ist auch der Wind im Titel des Bandes zu verstehen, Traktate des Windes. Wesen des Traktats ist die Behauptung, die Festlegung, aber der Wind ist flüchtig und launisch, mild oder zerstörerisch. Auf den Wind ist kein Verlass, was sollen seine Traktate anderes sein, als unzuverlässige Zeugnisse. Oder, positiv gedeutet, Zeugnisse, die sich nicht festmachen lassen, was ja ein Merkmal des Poetischen ist. Dem Seienden wohnt immer das Vergehende inne, der Schöpfung die Zerstörung. Gedichte schreiben muss man so, daß, wenn man das Gedicht ans Fenster wirft, das Glas zu Bruch geht, zitiert Dine Petrik den russischen Dichter Daniil Charms. Mit anderen Worten: man muss ehrlich sein.
Der Gedichtband Traktate des Windes von Dine Petrik ist in der Bibliothek der Provinz erschienen.
Peter Zimmermann, Rezension für die Ö1-Sendung Ex libris vom 25. August 2019
https://oe1.orf.at/programm/20190825/561630


Bei Dine Petrik ist schon die Prosa poetisch, wie sie mit der Kindheitsgeschichte „Stahlrosen zur Nacht“ bewies. Der Band „Traktate des Windes“ zeigt die Wiener Autorin nun als Lyrikerin, die viele Tonlagen, Stimmungen und auch Zwischentöne beherrscht. Sie hat den Band sorgsam komponiert und in die Abschnitte „Klage“, „Getöse“ und „Flucht“ geteilt. Auf schmalem Raum finden Zartes, Elegisches und Hartes Platz.

Als Motto dient ein Zitat des russischen Anarchisten Daniil Charms: „Gedichte schreiben muß man so, / daß, wenn man das Gedicht ans Fenster wirft, / das Glas zu Bruch geht.“ Ganz löst Petrik diesen Anspruch nicht ein, ihre Texte dürfen auch einmal einfach nur schön sein. Dem Buchtitel, der auf die Flüchtigkeit von Worten verweist, entsprechend weht einem aus diesen Gedichten etwas angenehm Leichtes entgegen: „Hier geht es mehr als lässig zu / trägheit hängt in der Luft ohne Grund.“
Sebastian Fasthuber, Rezension im Falter #28/19 vom 12. Juli 2019, S. 27
https://shop.falter.at/detail/9783990288290


Ein souveräner Flow, der jedoch gestaltungsweisend starke Rhythmisierungen enthält, Tönungen, Retardierungen und somit Musikalität.
Wie stets bei Dine Petrik, handelt es sich auch in diesem Lyrikband um avancierte, hervorragende Literatur, die zwar aus einer großen Disziplin heraus gemacht ist, jedoch darüber hinaus wie ein lyrischer Tanz anmutet.
„Unbändig spricht sich gegend an“ – ebenso unbändig, kraftvoll, bewegt, unabänderlich, wie von einem Fatum angetrieben, geben sich diese Gedichte.
Wie funkelnde Komplementärwörter muten die meist englisch gehaltenen Kursivstellen an, sie katapultieren das Gesagte vehement ins Jetzt, auch wenn „Traktate des Windes“ klassisch klingt.
Ein Tanz der Poesie, ein schwerer Tanz mithin – ein Flirren und Schimmern, das Gewicht hat.
Unvergleichlich.
Das kompetente Nachwort von Daniela Strigl erweitert den Zugang zur Dichterin und ihrer Sprachkunst.
Petra Ganglbauer, Rezension auf der Webseite des BÖS. Berufsverband Österreichischer SchreibpädagogInnen, veröffentlicht am 19. Juli 2019
https://www.bös.at/rezensionen/traktate-des-windes-klag-getoese-flucht-dine-petrik/

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Stahlrosen zur Nacht

Dine Petrik, 1942 in einem burgenländischen Dorf als Tochter eines Musikers geboren, schreibt sich in ihrem autobiographischen Roman "Stahlrosen zur Nacht" furchtlos in und durch die harte Kindheit eines Mädchens, einer Nachzüglerin, den erwachsenen Brüdern hintangestellt, voller Sehnsucht nach dem Vater, von Kinderarbeit geschunden. Die Autorin beginnt mit ihren Albträumen, dem zuckenden Kinn des alten Nachbarn, der als Untoter begraben wird, klaubt die Sprachsplitter ihrer Kindheit zusammen, stellt sich den Illusionen über den als Retter aus der Leibeigenschaft ihrer Mutter fantasierten Vater. Die Brüder bleiben ihr fremd, der eine, bei der SS, kommt nie aus dem Krieg zurück, der andere, in den letzten Kriegstagen desertiert, zerbricht an der Häme im Wirtshaus, seinem ihm einzig in den Sinn gekommenen Zufluchtsort. Die Mutter hält den Rest ihrer verlorenen Welt, ihrer verlorenen Adelung durch Mann und Söhne, in unnahbarer Härte zusammen.
Petrik schreibe, so der Titel einer ö1-Rezension, "im Sog ihrer Kindheit". Das sehe ich nicht so. Zweifellos war die Autorin beim Schreiben in keinem Sog, sondern hat mit sorgsam zerstückelter Sprache einen Pfad gelegt, dafür recherchiert, nachgedacht, sich selbst ermächtigt, sich dem vom Schweigen umgebenen Kind genähert, das keine Worte erhielt für das, was es fühlte, dem beigebracht wurde, dass keine Fragen zu stellen sind. Vermisst, heißt das gefallen, Mutter? Iss fertig! Für ihre "Strophen eines Romans" spricht Petrik nicht nur mit Familienmitgliedern und Menschen, die etwas gewusst haben könnten – aber mitunter nicht reden wollen –, sie sucht auch die Töchter von Josef Sirowatka auf, der in ihrem Dorf lebte. Der Gendarm Sirowatka war ein Aufdecker, ein Mann des Rechts, ermittelte in Rechnitz, Causa Kreuzstadel, machte sich unbeliebt. Zwei Mal wurde er ins Ministerium zitiert, musste den Fall abgeben. Bis heute ist das Massengrab der Ende März 1945 über 180 erschossenen ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter unentdeckt, wiewohl "man" bis Anfang der Fünfzigerjahre Bescheid wusste. 1948 sind zwei aussagewillige Zeugen ermordet worden. Wer sich auf die Wort- und Satzscherben einlässt, die sich nach und nach zu einem Mosaik fügen, auf die, analog zur Selbstermächtigung, schrittweise sich bildenden Sätze, gerät vielleicht auf Anhieb in einen Sog, gewiss aber bei der nochmaligen Lektüre. Mit Beklemmung wird man gewahr, wie fortwirkte, was davor Gültigkeit hatte, die abgrundtiefe Verachtung von Deserteuren, die Brutalität und Gleichgültigkeit gegenüber Schwächeren und "Fremden", fremd in welcher Weise auch immer. "Ich lebe wie in einer Hölle. Ich ertrage die Schmerzen nicht mehr", wird im Abschiedsbrief des Bruders stehen. Das Seelenrückgrat gebrochen.
Das Kind sieht und sieht, dass die anderen sehen und nicht sehen. Ihr Schulkamerad wird Jahre später an der Untätigkeit des Mainstream der Dorfbewohner zerbrechen. Wohl gibt es sie, die Gegenstimmen, und sie beginnen in ihrer Erinnerung zu leuchten, die Tante aus Lemberg, die die Ängste des verstummten Kindes benennt und dem Mädchen Mut macht, die späteren Einflüsse von Künstlern, die ungeschönte Wahrheit der Cousine. Ihr Vater-Bild, fantasiert wie jenes von Waisenkindern, zerbricht. Schlimmer noch: Er ist ihr erspart geblieben, wie ihre Cousine sagt. Der Vater, ein Nazi, eingesetzt in Wiener Neustadt im Außenlager des KZ Mauthausen, an den Endsieg glaubend, war drauf und dran, seinen Sohn, den Deserteur, auszuliefern. Die Mutter bleibt in ihrer Härte, ihrer Arbeitswut und impliziten Verachtung des eigenen Geschlechts bis zum Schluss ein Rätsel.
Sonja Pleßl, ZWISCHENWELT, Herbst 2018


Die in Wien lebende Autorin Dine Petrik erzählt in ihrem Roman von einer Kindheit auf dem Land und vom langen Schatten der Nazizeit. 1942 im Burgenland geboren, wurde sie in einer Familie groß, die durch den Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt worden war. Der Vater und ein Bruder blieben im Krieg, ein zweiter Bruder, der kurz vor Kriegsende desertierte, sah sich laufenden Verhöhnungen ausgesetzt und beging Selbstmord. Und die Mutter? Konnte keine Liebe mehr für ihre Nachzüglerin aufbringen.

Oft wusste das Kind nicht, woran es glauben sollte. War ihr Vater der lustige Musiker, den sie von Fotos kannte, ein arger Nazi („Mein Vater also ein Hitler?“) – oder gar beides? „Stahlrosen zur Nacht“ bietet poetische Prosa von dunkler Strahlkraft. Das Buch verlangt nach konzentrierten Leserinnen und Lesern, die sich auch durch häufige Sprünge und Wechsel der Perspektive nicht aus der Bahn werfen lassen.
SEBASTIAN FASTHUBER | FALTER 50/2018


Mit ihrem Roman legt Dine Petrik eine beklemmende Bestandsaufnahme der burgenländischen Befindlichkeiten vor (...) Wer in einer kleinen Dorfgemeinschaft während des Zweiten Weltkriegs und nach 1945 aufgewachsen ist, hatte, wenn man dem Roman und seinen alptraumhaften Szenen folgt, gar keine andere Wahl, als sich unter anderem mit dem Schicksal jener Menschen, die auf sogenannten Todesmärschen auch durch diesen Ort kamen, auseinanderzusetzen, und sei es auch nur mit jenem verstörenden Schweigen, das die Gräueltaten beharrlich umgab.
Die Verbrechen an den Juden waren keine Einzeltaten, ebensowenig wie die massenweise Vergewaltigung der Frauen in den Ortschaften durch russische Soldaten im Gefolge des Kriegs. Die Frauen, bereits traumatisiert durch Missbrauchs-Erfahrungen in ihren eigenen Familien, waren der männlichen Gewalt wieder und wieder ausgesetzt, zugleich auch noch trauernd um ihre im Krieg gefallenen Angehörigen.
Das Hoffen auf die Rückkehr des verschollenen Vaters wird gebrochen durch die Einsicht, dass dieser ein bekennender Nationalsozialist war. Dann schält sich ein Zusammenhang zwischen dem Vater und der Serbenhalle im Wiener Neustädter Aussenlager des KZ Mauthausen heraus, wo der Vater bei der SS eingesetzt war. Er kommt nicht zurück. Die Überlebenden Angehörigen finden sich gefangen in diffusen Schuldgefühlen. Der physische Druck, in dem mindestens zwei Generationen standen und stehen, die in der Kriegszeit Erwachsenen wie die damaligen Kinder, kommt in Petriks kaskadenartigen Wort-Clustern und eindringlichen inneren Monologen beklemmend zum Ausdruck. Die Erinnerungsfetzen mäandern um den verschollenen Vater, um Angst und Bedrücktheit und Verlassensein. Petrik gelingt es in ihrem hypnotischen, romanartigen Gedicht auf eindrucksvolle Weise die überlebenden Frauen in ihrem Nachkriegsalltag überzeugend zu spielen.
DAVID Nr. 119, Dez. 2018, Tine Walzer

"Gott, was du dir erspart hast!"
"Schreiben, dachte ich, wäre ein Mittel, mehr Klarheit über mich zu erlangen", sagt Dine Petrik in einem ORF-Beitrag zu ihrem neuen Buch "Stahlrosen zur Nacht". Die Autorin hat neben Lyrik, Romanen und Essays zwei biographische Arbeiten über die Schriftstellerin Hertha Kräftner (1928-1951) verfasst, nun legt sie einen Text über ihre eigene Kindheitsgeschichte im Burgenland der 1940er Jahre vor. 
Bereits in ihren sehr persönlichen Annäherungen an die Dichterin Hertha Kräftner befasst sich Dine Petrik mit dem Thema der Vergewaltigung, das seit 1945 als kollektives Trauma auf den Frauen in der damaligen russischen Besatzungszone lastet. Das sogenannte Glück der Spätgeborenen – Dine Petrik war zur fraglichen Zeit ein kleines Kind – verkehrt sich jedoch in der Erzählung des eigenen Lebens zu einer diffusen Schuld, die ebenso schwer zu wiegen scheint wie das Leid der Betroffenen. Ganz langsam entlarvt die Autorin das dunkle Geheimnis, das doch so nahe liegt. Lange vor den Russen haben die eigenen Männer in der Familie Unheil gestiftet. Der Onkel hat seine beiden Töchter missbraucht, der Vater war ein fanatischer Nationalsozialist. Das fügt sich schlecht ins Weltbild der Tochter, die noch lange nach dem Krieg sehnsüchtig auf die Heimkehr des ihr unbekannten Vaters wartet. Nur widerstrebend lässt sie sich von ihrer älteren Cousine aufklären, dass ihr viel mehr erspart geblieben ist, als sie sich jemals vorstellen konnte...
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Sabine Schuster, Literaturhaus, 28. August 2018


“Dine Petrik kennt man vor allem als Lyrikerin. Und sie bleibt es, wenn sie Romane oder Essays schreibt. Dieser eigene, lyrische Ductus ist es, der auch in ihrem neuen Roman mit wechselnden Erzählperspektiven den Ton angibt. Es ist die Geschichte einer Nachkriegs-Kindheit in der Provinz, Geschichte vom Erwachsenwerden, geprägt von kühler Strenge und harter Arbeit. Eine Geschichte wie der sehnsuchtsvolle Blick in einen blinden Spiegel.”
Friedrich Hahn, Alte Schmiede, September 2018


Sophie Reyer: Das Mädchen und der Nazi

Bildstark: eine Nachkriegskindheit in der österreichischen Provinz. Dine Petriks sprachintensiver Roman „Stahlrosen zur Nacht“.
 
„Was diese Sätze erzählen, ist die Geschichte eines in einem österreichischen Dorf nach dem Krieg aufgewachsenen Mädchens“, so schreibt Daniel Wisser im Vorwort zu Dine Petriks neuer Roman „Stahlrosen zur Nacht“ – und damit ist eigentlich alles gesagt. Alles und doch nichts. Denn diese „Strophen eines Romans“, wie die burgenländische Autorin ihr Werk nennt, arbeiten mit Sprache.
 
Man muss den Text lesen, muss in seine scherenschnittartige Welt eintauchen, um ein Gefühl für den Sog zu bekommen, den diese auf erfrischende Weise so gar nicht erzählende Erzählung entwickelt. Da ist das Kind, da ist das „Ich“, eine Frau, die immer wieder auch zum „Du“ oder zu „ihr“ wird. In einem konservativen Dorf während des Zweiten Weltkriegs wächst sie auf. Der frühe Verlust des Vaters im Krieg sowie ihres Bruders zeichnen die Mutter frühzeitig – und gehen auch an dem fantasievollen Kind nicht spurlos vorüber.
 
Doch erst viele Jahre später, als es längst zur Frau geworden sich auf Spurensuche begibt, wird die abgründige Vergangenheit des Vaters deutlich. Es stellt sich heraus, dass 
auch er ein begeisterter Nazi war. Was bleibt, ist ein vages Bild zwischen Liebe und Verzweiflung: Einerseits sind da die Musikinstrumente und das Singen, die immer wieder mit Vater und Bruder assoziiert werden – eine Ziehharmonika tritt genauso in Erscheinung wie diverse Blasinstrumente –, andererseits sind da die Nazi-Vergangenheit und das patriarchale Gehabe des verstorbenen „Erziehers“ sowie eines Bruders, der versehrt und gebrochen aus dem Kriegsgeschehen heimkehrte. Aber auch die Figur der Mutter wird nicht positiver geschildert; schwach bleibt sie neben der spannenden „Tante Levko“, die es schafft, Kinder über die Grenze zu schmuggeln – und fortan im Dorf als Hexe stigmatisiert wird.
 
Die Recherche führt die erwachsene Frau schließlich zu Quellen, die von einem Konzentrationslager in Wiener Neustadt berichten. Eine bahnbrechende Entdeckung. Doch damit nicht genug: Mutig blickt die Autorin auch auf all die Vergewaltigungen der weiblichen Landbevölkerung durch die Russen hin. Sie traut sich, dem Wahnsinn ins Auge zu schauen.
 
Und überhaupt, das Schauen scheint eines der wichtigsten Elemente dieses Buches zu sein: Denn wie ein Film arbeitet der Text auf der sprachlichen Ebene mit Rhythmik und Schnitten, und auch der Begriff des Bildes zieht sich als Strukturmerkmal durch Petriks Werk. Da ist von Erinnerungsbildern die Rede, von Fotos und alten Alben, und einmal heißt es zu Beginn eines Kapitels scheinbar lapidar: „Lange her, diese nahen, nachtseitigen Bilder.“
 
Dine Petriks Text riskiert. Er arbeitet mit typografischen Gestaltungsmitteln, Formen wie der Liste und des Gedichts, collagiert Briefe und wagt eine Fülle an Sprüngen der Perspektiven. Historische Bezüge werden hier ebenso abgehandelt wie philosophische Debatten, gewürzt mit Zitaten von Nietzsche, Goethe und vielen anderen geistesgeschichtlichen Größen. Dabei wirkt der Text allerdings ein wenig gewollt und überbordend, so, als sei die Sprache sich selbst nicht genug und brauche jenseits dessen noch einmal eine intellektuelle Rechtfertigung. Eine Kompensation, die dieser starke „Roman in Strophen“ im Grunde nicht nötig hat.
 
„Ein Roman, der“, wie Daniel Wisser in seinem Vorwort gekonnt schreibt, „Fiktion als Suche nach einem fantasievollen Plot nicht braucht.“ Und er hat zweifellos recht, wenn er meint, die Stärke dieses Buches liege „in seinen Motiven. Zweifellos ist das Schicksal dieses Mädchens kein Einzelschicksal, zweifellos haben viele Hunderttausende Ähnliches erlebt.“ Insofern ist „Stahlrosen zur Nacht“ jeder mutigen Leserin wärmstens zu empfehlen.
Sophie Reyer, Rezension in der Presse vom 23. Juni 2018

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Funken.Klagen

Gute Lyrik kann auch ironisch sein, aber sie muss es nicht. Die Verse des Bandes “Funken.Klagen” (Verlag Bibliothek der Provinz) von Dine Petrik sind zum Beispiel fragile Gebilde. Klein und leise treten sie auf, ihre Titel stehen in Klammern, als ob sie nicht so wichtig sein wollten. Besonders eindrücklich ist ein Trauergedicht, das mit lyrischen Mitteln ein privates Totengedenken inszeniert. Der Titel ist doppelsinnig und der Text vieldeutig. Dine Petrik schreibt metrisch kaum regulierte Zeilen und verzichtet ... auf Reime.
Auch die zweite Strophe ist nicht konsequent durchgereimt, enthält aber doch etliche Reimwörter.
Welche? Das herauszufinden, gehört zu den Reizen beim Lyriklesen. Wer sie gefunden hat, darf dann überlegen, ob eine solsch zwanglos reimende Verbindung eher dem Sinn oder eher der Musikalität des Ganzen zugute kommt. Beides ist auch zugleich zu haben, denn gute Lyrik ist, wie Paul Valèry in einer unübertroffenen Formulierung festhält, “das ausgehaltene Zögern zwischen Klang und Sinn.”
Hermann Schlösser, Wiener Zeitung EXTRA, 4./5.11.2017, "Ausgesprochen schöne Gedichte"


Dine Petrik schreibt in ihrem jüngsten Gedichtband von Bedrohung und Zerstörung
(Fukushima, Palmyra), von Politik und Gesellschaft durchwirktem Privatleben (Kinder, Frauenrolle), von Mythen und Reisen und setzt Reime und Assoziationen ein, aber schon die Überschrift der drei Teile – burlesk, pittorest, grotesk – zeigen, wohin die Richtung geht: Ins Bitter-Ironische, um eine Wirklichkeit darzustellen, der, laut Dürrenmatt, nur noch durch die Komödie beizukommen ist.
Dazu passt, dass die Gedichttitel kursiv und in Klammern gesetzt sind, als handle es sich dabei um schnell hingesagte Apercus. Aber schnell hingesagt ist bei Petrik gar nichts: sehr genau konstruiert sie ihre Gedichte, dekonstruiert zugleich die Sprache und schlägt Funken aus den Wörtern (“auf die dur lass ich es sein”, “frühpension / in rünstig-rüstiger demenz”). Doch der Grundton ist elegisch, klagend: sie spricht vom “strahlend verstrahltem grün”,
dass die Kindheit “kein Wort für liebe” sei, und im Eingangstext über Palmyra bringt sie
die Tragik und den Skandal in nur zwei Versen auf den Punkt:
“das gedächtnis der Welt in gefahr / durch einen mob ohne gedächtnis”.
Christoph Janacs, LITERATUR UND KRITIK, 509/510, Nov. 2016


Motive für ein Andante. Zum Heftthema Venedig passend vereint dieser Lyrikband der im Burgenland geborenen, in Wien lebenden Autorin Gedichte mit mal bedächtig vorwärts schreitendem und dann wieder übermütig springendem, überspringendem Inhalt.
Das Vorwort von Flaubert weist schon darauf hin, dass der Dichter nie genau angeben kann, was ihn schmerzt und die Überfülle der Seele manchmal in die leersten Bilder überfließt. - Dies charakterisiert wahrlich ihre lyrischen Ausarbeitungen. Weit ausholend, großflächig und von innen wie von außen besehen, trägt sie doch immer wieder zum Thema etwas bei und findet zurück zur Überschrift und nagt mit spitzer Feder an den Gedanken.
Nebel durchziehen ihre Schauplätze – S. 13 (annebeln) schon wird der tag/ mit spitzer feder abgenagt/ der abend schwelt im kochtopf/ nebel hängt im fenster wie gardinen/ geifernd nach emotionen - …
Oft weiß die Autorin ein Thema mit Augenzwinkern zu behandeln oder zu beenden, wie z.b. Themen über das Alter (über ich), das Schamgefühl (logen fassen) oder den Verlust der Jungfräulichkeit (hymenlos) usw.,. und zeigt auch Witz bei ihren Fudschijama-Gedichten, bei denen man förmlich in der Gondel sich sitzend fühlt und die vorbei pendelnde Landschaft samt heißen Quellen und Dampf so sichtbar bzw. unsichtbar wird, wie das eigene Spiegelbild im Kratersee.
Ein tolles Werk in der Komposition und sorgfältig in der Ausarbeitung!
Eigenständig und höchsteigenwillig und meist angenehm skurril in der Sprache und Wortwahl. Ideenreich und intelligent in der Wahl und Verarbeitung von Inhalten und nie provozierend oder mit pädagogisch wertvollem Zeigefinger die Hand erhebend!
Den Gedankenblitzen geht weder das Feuer noch die Luft aus.
Fazit: Ein außergewöhnlicher Gedichtband mit starker Anziehungskraft!
Eva Riebler-Übleis, „Etcetera“, Heft Venedig, 2016


Nachdenklich beginnt dieses Buch (nach einem Flaubert-Zitat) mit der vorangestellten Hommage an Palmyra, die von der Terrormiliz IS schwer verwundete syrische Oasenstadt. In einem Text, der wohl nicht zufällig im Schriftbild an ein Sonnett erinnert, lässt Petrik die Epochen und Völker vorbeiziehen bis zum bitteren Schluss: das gedächtnis der welt in gefahr/ durch einen mob ohne gedächtnis. Auch in ihrem neuen Lyrikband ist Petriks Stimme eigen und unverwechselbar trotz einigen Verweisen auf verwandte Dichterinnen, der Ton sarkastisch, doch auch mit-leidend, wütend und wehmütig, der Inhalt zeitlos und zeitbezogen zugleich.
Burlesk, pittoresk, grotesk ... Die drei Abschnittsüberschriften (interessanterweise alle drei aus dem Italienischen abgeleitete Lehnwörter, die in der Ursprungssprache aus den Wörtern für Scherz, Malerei und Höhle gebildet wurden) sind nur bedingt als Wegweiser geeignet und jedenfalls keine Schubladen, in die Petrik Themen und Töne feinsäuberlich abgelegt hätte.
Wie schon in früheren Gedichten zeichnet auch die neuen Texte oft ein collageähnliches Schreibverfahren bzw. Schreibergebnis aus. Unter anderem wird in BURLESK ein Promi durch einen dem Thema angemessenen Kalauerkakao gezogen. Mascherl und Lackschuh, Society und Pseudokultur kriegen ebenfalls ihr Fett ab. Böse Texte sind das, deren Bitterkeit auch vor der Autorin nicht halt macht.
Und dann ein anderer Ton, eine andere Stimmung. Nach zwei Elfriede Mayröcker gewidmeten Texten (... leuchtest voraus ins mühelos der worte ...) lesen wir unter dem Titel (nichts mehr): jetzt, wo ich die letzten toten/ dem heimatboden überließ/ will ich drei nächte wachen/ sehen, ob mir was bleibt// die erste bringt ein regenmeer/ die zweite treibt mir eine krücke her/ die dritte hält in frostiger hand/ jene laterne/ die ich als kind gekannt -/ was brauch ich mehr.
Das Stakkato früherer Lyrik schlägt oft durch, doch alles in allem wird weniger "gerappt" und mehr gesungen, wenn der Vergleich gestattet ist. Mehr geflüstert auch - und laut aufgeschrien zuweilen. Trotz harter Realitäten, klarer Benennungen überrascht dann manchmal ein traumhaftes Verschwimmen, ein Flirren und Verwirren, das sich buchstäblichen Deutungen in den Weg stellt. "Technisch" fallen Reime und Assonanzen auf, wobei die Reime sich ganz und gar nicht als anachronistische Behübscher sondern eher als Spottverse (... die vespa schrott/ wegen sechs krügel bock ...) gebärden, besonders im letzten "grotesken" Teil.
Ironie und Sehnsucht, Wehmut und Horror wechseln sich quer durch das Buch ab und so erfüllen auch die verwendeten Stilmittel wie Zeilenumbrüche, Klammerausdrücke etc. je nach Grundstimmung unterschiedliche Aufgaben.
Besondere Bedeutung kommt geografischen und historischen Koordinaten zu. Alte Kulturräume und drohende Kulturuntergänge, Naher und Ferner Osten – Dine Petrik, immer schon von Archäologie fasziniert, aber auch scharfsinnige Beobachterin heutiger globaler Entwicklungen, seismografiert Veränderungen, nimmt Bezug auf Mythen, stellt archaische Überhöhung neben private Anekdoten. Ein großes Wissen und Wissenwollen speist den Fluss ihres Schreibens, doch die Gedichte kommen nicht enzyklopädisch daher, der poetische Atem verwandelt und bindet ein: wir sind schon hier gewesen/ sahen uns als unverwundbar/ bis das perlmuttcape unserer/ rücken brach: flutwellen/ warfen uns an die ufer/ nackt ehe die zeit anfing (aus: (früher als))
Besonderen Eindruck hinterlassen auch die Gedichte, die Kindheit und Heimat gewidmet sind. Deren letztes und auch das letzte dieses Buchs trägt den Titel (lach nur) und beginnt mit der Strophe: meine erinnerung an dich -/ den letzten blick warfst du mir/ von oben herab/ als schweren sack um den hals/ vom lastwagen oben/ die TBC-marke im rechten ohr/ dein passagierschein zur schlachtbank/ glitzerte in der sonne (...)
Ein bemerkenswert dichtes Buch, das auf knappem Raum einen weiten Bogen spannt.
Wolfgang Ratz, Literaturhaus Wien, 2016


Bei der bibliothek der provinz ist Dine Petriks band "Funken.Klagen" erschienen. es gibt drei kapitel: burlesk, pittoresk und grotesk. allen gemeinsam ist, dass die überschrift kursiv ist und in klammern - alsob sie nur ein beiläufiges, wie flüstern, angesiedeltes etwas wären. und allen gedichten gemeinsam ist, dass oft mehrere techniken zusammengeholt sind. da gibt es assoanzen, nah an der wortwiederholung (nur ein buchstabe verändert) - zeilenbrüche, die ein flattern des sinns evozieren, satzzeichen, vor allem der bindestrich, der den vers ins leere laufen lässt, wortfolgen, am klang entlang gearbeitet usw. was aber passiert wirklich: es ist ein ortloses verorten, ein auf- und abtauchen von bezügen - so auch die verwendung von "ich / wir / er" - mal relevant mal nicht vorhanden - bleibt es im endeffekt immer unbestimmt, was gerade verhandelt wird - und ob es eine außen oder einen innenperspektive ist oder beides gleichzeitig. so gibt es es mal ein "da" und ein "hier" und es ist gleich wieder weg, was da war - und ankommen ist nicht. vieles wird angesprochen - und jede fesstellung, jedes festmachen wird sofort wieder unterwandert - gleichsam im selben atemzug.
Christine Huber, Poliversale/Dichtfest, Alte Schmiede, 4.Juli 2016


Eine entschiedene, souveräne lyrische Stimme artikuliert sich im vorliegenden Band, eine Stimme, die von großer Produktivität spricht.
Dine Petrik, Verfasserin zahlreicher Bücher, steckt konsequent verschiedenste inhaltliche Bereiche ab und doch liegt über dem Band eine grundsätzliche Stimmung, die sich aus Geschichte und (An)Klage, metaphorischen Landschaftsexkursen, dem Intimsten oder auch Reiseeindrücken heranbildet.
Bestärkender (!) Trotz, Widerspruch, Widerhall artikulieren sich da auch als konsequent lyrische, rhythmische Setzung, die bisweilen staccatoartig lauter wird, das innere Ohr oder Auge trifft und anspringt. Wie der Titel besagt, werden poetische Flammen entfacht, sie leuchten und zischen und laden alles, wovon die Rede ist, auf. Hinter jeder Passage, wenn auch meist nicht explizit, steht Haltung, - diese Gedichte zeugen von einem starken Rückgrat!
Gustav Flaubert leitet den Band ein - die Kapitel sind mit BURLESK, PITTORESK und GROTESK übertitelt und stecken die Empfindungsräume gewissermaßen ab.
Empfehlenswert.
GANGWAY by Petra Gangbauer

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Flucht vor der Nacht

Mit ihrem ersten Roman „Flucht vor der Nacht“ erweitert Dine Petrik ihr Werk um eine neue Facette. In der Kraft der Gefühle und der Farbigkeit der Darstellung ist sie sich treu geblieben, auch in ihrem Interesse für die Darstellung von Spuren alter Kulturen, von Stadträumen und Kunstwerken. Vielleicht aus diesem Interesse stellt die Autorin einen bildenden Künstler, einen Maler, ins Zentrum des Romans.
Zugleich beschäftigt Dine Petrik aber eine andere, existentielle Frage: Gehen oder bleiben, im eigentlichen und im übertragenen Sinn. Soll man in der Stadt, bei dem Partner, in dem Haus, bei den Menschen und Dingen, die man sich erwählt hat, bleiben oder besser diese verlassen? Soll man überhaupt als letzten Ausweg aus dem Leben gehen oder sich doch diesem stellen? Dieser letzten Frage in ihrer ganzen Wucht stellt sich besonders einer, die Hauptfigur des Romans: Ben Bogathy, ein stadtbekannter Wiener Maler. Er ist ein Charismatiker mit schillerndem Leben, mit Preisen ausgezeichnet, Teil einer „Seitenblicke“-Gesellschaft, über den berichtet wird, wenn er mit einem Herzinfarkt ins Spital eingeliefert wird. Bogathy ist ein gutaussehender, geistreicher Verführer, ein Macho, der sich die Frauen nimmt und, wenn sie zum „Problem“ werden, wieder wegwirft. Mit ihm beginnt und endet der Roman, sein Leben, seine Gedanken, seine Irrwege durch das nächtliche Wien bilden das Gerüst, das mit den Biographien seiner Frauen zu prallem Leben aufgefüllt wird. „Die Frauen“, das sind Bogathys Ex-Ehefrau, seine Tochter, seine erste Ex- und seine zweite aktuelle Geliebte – sie werden in ihren jeweiligen Beziehungen zum Hauptakteur dargestellt.
Catherine, die britische Ehefrau war unglücklich in Wien, sie verließ den egozentrischen Künstler, kehrte heim nach London und nahm die Tochter mit. Was aus einer gescheiterten Beziehung zurückbleibt, sind die gemeinsamen Kinder - in diesem Fall ist es Olivia, die von beiden Elternteilen umworben, jeweils auf die eine oder die andere Seite gezerrt, um deren Gunst gebuhlt wird. Der Vater leidet schwer an dem erzwungenen Verzicht auf seine Tochter und spielt doch sofort seine Macht aus, sobald diese zum Kunststudium nach Wien zurückkehrt und er sie unter seine Fittiche nimmt. Dine Petrik zeigt mit psychologischem Feingefühl seinen Zwiespalt: Die Tochter ist die einzige, die der Vater nicht in seine gängigen, fast gewalttätigen Beziehungsmuster Frauen gegenüber zwängen will. Und doch schwankt er beständig zwischen Stolz und Anerkennung einerseits und Drohung und Bevormundung andererseits. Was hier nicht ganz gelingt, ist die Stimme Olivias, der mit weitschweifigen Ausführungen über die Stadt Wien ein etwas altbacken wirkendes Interesse an Geschichte angedichtet wird. Doch bleibt die Handlung spannend, denn die Autorin lässt die junge Frau gerade dann, als sich schon eine Karriere im Licht (nicht im Schatten) des Vaters ankündigt, scheitern. Ein riesenhafter Obsidian, ein roher Stein, den die Mutter für ihre bildhauerische Arbeit vorbereitet hat, wird ihr zum Verhängnis – im übertragenen Sinn könnte man meinen, dass das Kind am versteinerten Verhältnis der Eltern zerbricht.
In dieses enge Familienverhältnis schaltet sich schon bald eine neue Stimme ein und zwar jene der Ex-Geliebten Margarete, die angesichts der machtvollen Liebe des Vaters zur Tochter verkümmert, entgegen all den magischen Selbstbeschwörungen, den wiederholten „Du hältst das aus!“, und zur Rächerin ihrer Erniedrigung wird. Die aus ländlichen Verhältnissen von Bogathy nach Wien Verfrachtete liebt diese Stadt zwar inbrünstig, wird ihr aber doch nicht gerecht. Wohl hat sie sich gut eingerichtet, eine Arbeit gefunden, eine Wohnung, die ihr der joviale Ex-Liebhaber überlässt. Umsonst wartet sie auf seine Wiederkehr, zumindest auf ein anerkennendes Wort. Sie, die grob benutzt und zur Seite geschoben wurde wie ein Möbelstück, hat Zeit genug nach Rache zu sinnen. Ihre Nachfolgerin Edith, die aktuelle Geliebte, ist ganz ähnlich im Charakter wie Margarete, auch sie ist eine, die sich ihren Standpunkt – „Standfestigkeit!“ – vorbeten muss um nicht zu kippen, um nicht von dem Koloss Bogathy erdrückt zu werden. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin gelingt es ihr jedoch die Schatten der Vergangenheit zu bannen. Kurz vor Schluss des Romans scheint sich alles ins Gute zu wenden, der Macho ist nach einem überlebten Herzinfarkt geläutert, Edith an seiner Seite – doch ...
Im für die Autorin typischen Stakkato-Ton werden – allerdings wenig variiert – den Figuren mittels innerer Monologe Emotionen, Stimmungen eingeschrieben. Dazwischen überrascht ein abrupter Wechsel zwischen getragenem Pathos und Wiener Jargon, der vielleicht das Missverhältnis zwischen hehrem Kunststreben und groben Lebensverhältnissen versinnbildlichen soll. Vor dem Hintergrund der Wiener Milleniumsfeiern im Jahr 2000 werden Gespräche über Kunst und (kunst)historische Stadtbeschreibungen in die Handlung eingebettet, sodass ganz nebenbei ein informativer Mehrwert entsteht.
Was die Konstruktion des Romangeschehens anbelangt, lässt die Autorin die Stimmen ihrer Hauptfiguren in den aufeinanderfolgenden Kapiteln erklingen, ohne gleich ihre Position, ihr Verhältnis zu den anderen preiszugeben. Das macht neugierig und es entsteht ein Sog, der die Spannung bis zum Schluss aufrecht erhält. Das Besondere des Romans ist aber die Wahl des Künstlermilieus: Literarisch über Kunst zu schreiben ist kein simples Unterfangen, aber Dine Petrik gelingen gerade diese Passagen der Bildbeschreibungen, der Schaffenskrisen, der Selbstzweifel, der Euphorien und jene, in denen Künstler, Kritiker, selbsternannte Kunstkenner, Freunde und Feinde – alle selbstverständlich auch in weiblicher Form gemeint – ihre Standpunkte zur Kunst vertreten.
Beatrice Simonsen, LITERATUR und KRITIK, März 2016, Nr. 501/502


GEGENWARTSLITERATUR 2473
Flucht vor der Nacht
Letztlich sind viele Typen prädestiniert, sich vor der Nacht zu fürchten. Die Kinder, wenn sie mit Gruselprogramm zu Bett gebracht worden sind, die erotisch Inspirierten, wenn das Tun nicht mehr mit dem Wollen übereinstimmt, die Künstler, wenn sie in der Finsternis dem aufgeklärten Licht ihrer Werke entrückt sind.
Dine Petrik nimmt diese Flucht vor der Nacht zum Anlass, um einen Künstler anlässlich des Millennium-Sprungs Bilanz ziehen zu lassen. Dabei wird nicht nur der kaputte Maler seziert, auch die Gesellschaft der Adabeis und die ganze Hautevolee kommen anlässlich der Silvesternacht 2000 an ihre Grenzen und werden somit an die Finsternis herangeführt. Vom Plot her gesehen handelt es sich vor allem um den Künstlerroman eines kaputten Genies. Zu Beginn zieht eine angetrunkene Gesellschaft durch die Hotspots einer Wiener Galeristen-Szene. Am Ende stehen die Typen in der Kippe zum neuen Jahrtausend und trauen sich nicht so recht drüber. Protagonist ist der Maler Ben Bogathy, der zwischen Wien und London künstlerisch und erotisch hin und herpendelt. Allmählich hat er den Überblick verloren, seine Affären und Partnerschaften sind ihm über den Kopf gewachsen, er kriegt ein dementsprechendes Alkoholproblem, und der Zusammenbruch dient dazu, ein bisschen Klarheit zu schaffen.
Im Vollrausch prosten sich Ben und sein Kollege Armin in die Klarheit. „Catherine, meine Ex ist tot, die Geliebte ist Edith, und wer ist Olivia?“ (151)
Aus der Sicht der Frauen schaut die Sache ganz anders aus, zwar wissen sie oft selbst nicht, warum sie sich diesen Wirbel antun. Was aus der Sicht des Genies eine große Geste ist, fällt für die Frauen recht handfest und ruppig aus. Am Beispiel einer Abtreibung kommt die Rollenverteilung in Schieflage. Der Mann brüllt etwas von Ruin, das muss weg, dann wird die Summe für den Eingriff auf Kredit aufgenommen und anschließen halbe-halbe gemacht. Die Frau empfindet das zwar als ungerecht, aber es ist so, wenn Genie auf Frau trifft.
Über diesen Künstlerroman ist freilich ein Kunst-Beadeker gelegt. Es gibt kaum ein Zusammentreffen der Helden, wobei nicht eine Kunsttheorie diskutiert würde, kaum eine Straßenecke, wo nicht interessante Architektur zum Vorschein kommt und kaum eine Liebschaft, wo nicht ernsthaft über den Sinn des Zusammenseins und Auseinandergehens diskutiert würde. Auch hier fürchten die Beteiligten oft um den Verstand, weil eine Nacht intensiver sein kann als der Tag. (171) Im heftigsten Schlamassel und in den größten Enttäuschungen glauben die Protagonisten freilich daran, dass sich das Leben im gebildeten Zustand besser aushalten lässt. Deshalb wird ständig herumgefahren, studiert, absolviert und emigriert in der Hoffnung, dass die Welt besser wird, wenn man sie studiert. So gesehen kann das Ende auch ein optimistischer Sprung ins neue Jahrtausend sein, eine Flucht heraus aus der Nacht der Vergangenheit.
Helmuth Schönauer, Öffentliches Bibliotheks- und Büchereiwesen, Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, 17. Mai 2016

Petrik konfrontiert uns in ihrem jüngsten Roman mit einer dramatischen Negativbilanz an der Jahrtausendwende. Die Zentralperson des Buchs, Ben Bogathy, ein gealterter Star des Kunstbetriebs erlebt eine wahre Höllenfahrt, wobei hier die Hölle nicht nur die anderen sind. In "seinen" Abschnitten, denn von den vierzehn Kapiteln sind einige auch aus anderen, nämlich weiblichen Perspektiven geschrieben, brüllt er seinen Ekel über die Belang- und Formlosigkeit der geldgierigen Szene atemlos heraus. Die Trauer um menschliche Verluste schwemmt er mit Alkohol hinweg. Doch trotz alledem bleibt er ein sinnenfreudiger Maler, für den Frauen Triebkräfte seines Lebens und Schaffens sind.
"Flucht vor der Nacht" berührt einige Genres, so den klassischen Künstlerroman mit Bogathys Ansichten zur Moderne und Postmoderne in der bildenden Kunst, das Schicksalsdrama, in dem fast sadistisch jede mögliche Wendung zum Besseren vereitelt wird, schließlich auch den Psychothriller, wo die zurückgewiesene Liebeskraft einer Frau in kriminelle Energie umschlägt. Sogar als Schlüsselroman könnte man "Flucht vor der Nacht" lesen - und gründlich missverstehen, denn mögen auch einzelne Personen der Handlung aus der österreichischen Szene entlehnt sein, bleiben sie doch nur Nebenfiguren im Psychoschach.
Bogathy, dessen dauernd drohenden Absturz der Leser hautnah mitverfolgt, wird trotz seines verzweifelten Kampfes für (s)ein Glück und gegen das ihn unerbittlich verfolgende Verhängnis nicht recht sympathisch. Frauen sind ihm, so scheint es, Mittel zum Zweck, Muse oder Jungbrunnen, Füllstoff der Leere. Von "erfrischenden One-Night-Stands" ist die Rede.
Dennoch: Sein Leben verbrennt an den Tragödien seines Lebens: Catherine, die ihn und Wien verlässt und mit Tochter Olivia nach London zurückkehrt, und die hochbegabte Tochter, die als Erwachsene zum Vater nach Wien kommt, wo sich ein Idyll zu entfalten verspricht, bis das Schicksal zuschlägt. Wie sich die Tragödien im Detail abgespielt haben, wird größtenteils angedeutet und bleibt letztendlich der Deduktion oder Phantasie des Lesers überlassen. Die Schuld, die sich Bogathy zu Recht oder Unrecht gibt, verzehrt ihn aber, treibt ihn vor sich her. Ein riesiger schwarzer Obsidian wird zum Symbol und Corpus delicti zugleich, scheint fast magisch Unheil über Bogathy und seine Familie zu bringen.
In dieser Situation tritt Edith in sein Leben, seelische Heilung scheint möglich, auch eine Abwendung vom Alkohol ist für Bogathy nach einem völligen Zusammenbruch plötzlich das Gebot der Stunde. Eine Neugeburt aus der Kraft der Liebe. Doch da ist auch noch Margarete, die Provinzlerin, die Affäre, der Bogathy nie reinen Wein eingeschenkt hat. Sie beobachtet Bogathy aus der Ferne und entgleist völlig angesichts des Glücks ihres früheren Geliebten.
Schuld und Schicksal, große Themen, vor denen man sich heute scheut. Petrik vermeidet Pathos durch eine zerrissene, splitternde Sprache, die die wechselnden Perspektiven mit einem flackernden Helldunkel überzieht. Eine furiose und wie von Furien gejagte Stimme, ein großes Wüten und großes Mitleiden zugleich.
Wolfgang Ratz, PODIUM 177/178, November 2015

Vier Frauen und ein Egomane
„Flucht vor der Nacht“: Dine Petriks kantiges Porträt eines schillernden Malers nebst Streiflichtern über die Wiener Künstlerszene zu Zeiten des Millenniums.

Ben Bogathy ist ein anerkannter Maler, ein wenig übers angeblich beste Alter hinaus. Er trinkt exzessiv, pflegt die Wiener Raunzerei, wenn er seine Meinung über Kollegen kundtun soll, ist ein getriebener Egomane. Edith, der er verdankt, dass „die Tage nichts Verheerendes“ mehr ausstrahlen, brüskiert er nicht nur auf Festen. Sie ist eine der Frauen, die er liebt, und der er das nicht sagen kann.
Mitten in dieser Oktobernacht, in der die Geschichte einsetzt, verlässt Ben die Gesellschaft und fährt zum Geburtstagsfest seines ältesten Freundes und Kollegen, Bruno Salcher. Mit wunderbar gesetzten Hinweisen flicht die 1942 im Burgenland geborene Dine Petrik Puzzleteile aus Bens Vergangenheit in den rasenden inneren Monolog des Malers.
Es sind karg bemessene Streiflichter, die Bens private Tragödien kurz erhellen. Der Unfalltod seiner studierenden Tochter Olivia, der Suizid seiner ersten Frau Catherine quälen ihn, der sich keiner Schuld bewusst sein will: Das flutende Glück der Arbeit. Und nagende Verlustgefühle. Und andere. Gefühle der Rache. Sie waren da, waren abzuarbeiten. Fast obsessiv: Frauen, sie provozieren das ja.
In Bens Furor mischen sich Vorurteile, die er als notwendiges Geländer nutzt, um sein Ego herausstreichen zu können. Die Frau aus der Provinz, Mag, die so verzweifelt versuchte, seine Einsamkeit zu erleichtern, hat für ihn keinen Wert. Dafür wird er einmal zahlen müssen. Edith schafft es allerdings, sich besser zu schützen und einen eigenen Weg zu finden.
Ben, von seinem Kunstanspruch zerfressen, drängt sich uns auf, weil Dine Petrik die richtige Stimme für ihn gefunden hat. Ihr von einigen Büchern bereits bekannter abgehackter Stil, die oft atemlos vorwärts stürmenden Rumpfsätze passen perfekt zu Ben. Seine Beobachtungen sind boshaft, ein wenig schief und oft unbarmherzig („Ihr Gesicht glühte, eine vom Alkohol aufgequollene Ampel, die abwechselnd die Brauen hob“). Notting (Hill), wohin Catherine mit Olivia zieht, nennt er abschätzig und verletzt „Nothing“. Nothing hat ihm die Tochter gestohlen, Nothing hat ihn amputiert.

Leider hat die seit 1959 in Wien lebende Autorin, deren Erzählen immer von starker Visualität geprägt ist, für Olivia, Mag und Edith keine eigenen Stimmen gefunden. Sie lesen sich wie weibliche Pendants zu Ben und sind doch ganz anders geplante Charaktere. Gerade die Stilelemente des inneren Monologs hätten für die Eigenständigkeit Möglichkeiten geboten.
Sowohl Olivia, die zum Vater für kurze Zeit zurückkehrt und irritiert ist von seinen Übergriffen, Mag, die Ben als Chance begreift, ihr Dorfleben beenden zu können, Edith, deren Rechnung erst nach Verlusten aufgeht, kreisen um Ben – leider in seinem Sprachduktus, was die Unterscheidung sehr erschwert.
Dine Petriks Buch hätte nämlich das Zeug gehabt, ein spannender Roman über Künstler in Wien und die Szene zu Zeiten des Millenniums zu werden: Frauen rund um einen Egomanen, in einem modern angelegten Expressionismus mit sorgsam eingeflochtenen Austriazismen. Nun ist es das kantige Porträt eines Schillernden, das sich auf einer Leinwand voll wildem Farbgemenge hervorhebt.
Beatrix Kramlovsky, Die Presse, 2. Oktober 2015

„Der Wunsch zu gehen ist die Flucht vor der Nacht, ist die Flucht vor der Angst.“ (S. 153) Gehen oder bleiben, im eigentlichen und im übertragenen Sinn: Soll man in der Stadt, bei dem Partner, in dem Haus, bei den Menschen und Dingen, die man sich erwählt hat, bleiben oder besser diese verlassen? Soll man überhaupt als letzten Ausweg aus dem Leben gehen oder sich doch diesem stellen – das ist die Grundfrage des neuen Romans von Dine Petrik.
Es ist ein in Angriff nehmen der letzten Fragen, denen sich besonders ein Mensch – die Hauptfigur des Romans – in ihrer ganzen Wucht stellt: Ben Bogathy, ein stadtbekannter Wiener Maler, ist ein Charismatiker mit schillerndem Leben, mit Preisen ausgezeichnet, Teil einer „Seitenblicke“-Gesellschaft, über den berichtet wird, wenn er mit einem Herzinfarkt ins Spital eingeliefert wird. Bogathy ist zugleich ein gutaussehender, geistreicher Verführer, aber auch ein Macho, der sich die Frauen nimmt und, so sie zum „Problem“ werden, sie wieder wegwirft. Mit ihm beginnt und endet der Roman, dazwischen spannt die Autorin ein festmaschiges Netz, das von Frauenfiguren getragen wird. Die Frauen ihrerseits – Bogathys Frau, seine Tochter, seine erste und seine zweite Geliebte – werden in ihren jeweiligen Beziehungen zum Hauptakteur dargestellt.
Catherine, die britische Ehefrau, ist unglücklich in Wien, verlässt den egozentrischen Künstler, kehrt heim nach London und nimmt das gemeinsame Kind mit. Olivia wird zum Stein des Anstoßes zwischen den beiden, der Vater leidet an ihrer Abwesenheit, sie wird später zum Kunststudium nach Wien zurückkehren, was ihr wiederum die Mutter übelnimmt. Es ist die altbekannte Fehde getrennter Eltern, die sie an den gemeinsamen Kindern ausleben. Olivia wird ausgerechnet an einem riesenhaften Obsidian, einem Stein, den die Mutter sich für ihre eigene künstlerische Arbeit erwählt hat, zugrunde gehen, nachdem sich schon eine Karriere im Licht (nicht im Schatten) des Vaters angekündigt hatte.
Die Ex-Geliebte Margarete Hörndlauer verkommt angesichts dieser Liebe des Vaters zur Tochter, entgegen all ihren magischen Selbstbeschwörungen, den wiederholten „Du hältst das aus!“, zur Rächerin der eigenen Erniedrigung. Die aus ländlichen Verhältnissen von Bogathy nach Wien Geholte überlebt mehr, als dass sie im von ihr heiß geliebten Wien wirklich lebt. Wohl hat sie sich gut eingerichtet, eine Arbeit gefunden, eine Wohnung, die ihr der joviale Ex-Liebhaber überlässt. Diese hat sie aus eigener Kraft renoviert, doch hält Bogathy die Situation mit einem bösen: „Kann sein, dass ich dieses Loch mal wieder brauchen werde ...“ (S. 114) in Schwebe. Umsonst wartet Margarete auf ein anerkennendes Wort. Sie, die grob benutzt und zur Seite geschoben wurde, wie ein Möbelstück, hat Zeit genug nach Rache zu sinnen.
Dann ist da noch Edith, die aktuelle Geliebte, ganz ähnlich im Charakter wie Margarete, auch sie ist eine, die sich ihren Standpunkt, „Standfestigkeit!“, vorbeten muss um nicht zu kippen, um nicht an dem Koloss Bogathy zu zerbrechen. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin gelingt es ihr jedoch die Schatten der Vergangenheit zu bannen. Kurz vor Schluss des Romans scheint sich alles ins Gute zu kehren, der Macho ist nach einem überlebten Herzinfarkt geläutert, Edith an seiner Seite – doch ...
Es ist in spannender Roman voll von poetischen, farbigen Bildern, geistreichen Gesprächen über Kunst, geschichtstreuen Beschreibungen (Wiens) und starken Emotionen, die mittels innerer Monologe den Figuren eingeschrieben werden. Dabei wechselt die Autorin manchmal abrupt zwischen getragenem Pathos und Wiener Jargon, das hochliterarisch anmutende „wiewohl“ steht im Kontrast zu Ausdrücken wie „die tussige Wienerin“ (S. 34) oder „Angefressenes Schweigen.“ (S. 157) Es versinnbildlicht das Missverhältnis zwischen hehrem Kunststreben und groben Lebensverhältnissen.
Was die Konstruktion des Romangeschehens anbelangt, stellt die Autorin die Biographien ihrer Figuren vorerst nebeneinander bis sie preisgibt, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Dadurch entsteht ein Sog, der die Spannung aufrecht erhält. Auch sonst ist hier alles wiederzufinden, was das Schreiben von Dine Petrik charakterisiert: Das Geschichtsbewusstsein, die intensiven Bilder, der Stakkatoton in Höchstspannung, dazwischen eingestreute Skizzenhaftigkeit erinnern an frühere Arbeiten wie ihre bewährten Reiseerzählungen, die Hertha-Kräftner-Bücher, die lyrische Kraft.
Beatrice Simonsen, Rezension auf der Webseite des Literaturhaus' Wien, 11. Mai 2015
www.literaturhaus.at


Stakkato einer Künstlerseele
Die Verweise auf James Joyce' Ulysses sowie auf Fjodor M. Dostojewskis Verbrechen und Strafe sind kein Zufall: In ihrem Roman Flucht vor der Nacht legt Dine Petrik die Abgründe einer vom Gewissen geplagten Seele frei, indem sie den Leser mit den Bewusstseinsströmen eines alternden Künstlers konfrontiert.
Das Buch kreist dabei um die Frage nach der Mitschuld am Unglück anderer, malt allerdings die Szenarien nicht genauer aus. Der Leser erahnt meist nur, was vorgefallen sein könnte: ein Ehebruch, eine erzwungene Abtreibung, ein sexueller Übergriff ...
Diese Vagheit ist eine Stärke des Buchs. Aus den Leerstellen erwächst die Spannung, mit der man den Schicksalen folgt. Zwar ist der stenografische Stil, bei dem die Sätze oft ohne Verben bleiben, sperrig. Hat man sich aber einmal an die zuerst stockende, dann jäh lospreschende Privatsprache des Wiener Malers gewöhnt, tun sich dem Leser nach und nach die Gründe für dessen Zerrüttung auf.
Zu Beginn eine Andeutung: "Damals, dieser Schnitt. Dieser Stich ins Herz... Olivias Tod. Dieses Stechen, Toben in ihm... Diese totale Erschöpfung." Wer Olivia war, erfährt man zunächst noch nicht. Wohl aber, dass sich der berühmte Maler Ben Bogathy Schuld an ihrem Tod zu geben scheint: "Es kam nicht direkt auf ihn zu, es lauerte an der Ecke, es kam in den Träumen, es stand beim Rasieren im Spiegel: Schuldig! Sekundenlang wie ein Lähmung: In seinem Kopf dieses Klack!"
Auf "dieses Klack" wird man während der Lektüre noch öfter stoßen. Genauso wie man auf vier Frauen trifft, deren Schicksale mit dem des Künstlers verwoben sind. Sich wieder der Form des inneren Monologs bedienend, entfaltet die Autorin nun deren Bewusstseinsräume. Leider gelingt es ihr dabei nicht, die unterschiedlichen Motive der Frauen auch in jeweils andere Sprachformen zu kleiden.
Abermals vernimmt man jenen abgehackten Ton, den man bereits von Ben her kannte und der sich bei der um ihr Kind betrogenen Margarete wie folgt anhört: "Ende zehnte, eher elfte Woche! Panik. Ein Schlag ins Gesicht, in den Magen. Angst und Panik. Eine Woche Zuwarten, schließlich das Telefonat. Er war sofort da. 'Ausgeschlossen! Niemals! Niemals!'"
Entbehrliche Wienreklame
Flucht vor der Nacht ist jedoch nicht nur das fesselnde Psychogramm eines Malers, sondern auch ein Buch über Wien. Wiederholt rühmen Olivia und Margarete die Museen, Plätze und Berge der Bundeshauptstadt. Schade ist nur, dass selbst hier die Autorin nicht von jenem Telegrammstil ablässt, der das gesamte Buch durchzieht. Was eine Hymne auf die Stadt sein könnte, liest sich dann wie ein Reiseführer, der in plakativen Termen ihre Sehenswürdigkeiten preist. "Sich Wien ergehen bis ins Innere", sagt Margarete an einer Stelle. Indem man die Dinge wie wild mit Namen beschießt, erschließt sich aber noch nicht einmal deren Oberfläche.
Franz Schörkhuber, Rezension in: Der Standard, 16.6.2015
http://derstandard.at


"Flucht vor der Nacht", der neue Roman von Dine Petrik spielt in der Wiener Kunstwelt. Im Zentrum des Geschehens steht ein ernstes, wenn nicht tragisches Psychodrama: Der arrivierte Maler Benjamin Bogathy hat in seiner Kunst viel erreicht (sein Kunstverständnis wird im Buch in vielen Gesprächen erörtert), doch schützt ihn das nicht vor Gefährdungen. Sein Ehe- und Familienleben ist eine einzige Katastrophe, in der schließlich die geliebte Tochter Olivia auf mysteriöse Weise ums Leben kommt. Auch Bogathy selbst, dem Alkohol verfallen, ist vom Tod bedroht. In einer Prosa, die innere Monologe und sachliche Beschreibungen ineinander verwebt, entwirft Petrik ein dichtes Zeitporträt, das im Jahr 2000 endet - also mit dem Beginn eines neuen Millenniums, das zumindest für einen Künstler wie Bogathy nichts Erfreuliches mehr zu bringen scheint.
Hermann Schlösser, Rezension in: Wiener Zeitung, Extra, 11. Juli 2015, S. 42
www.wienerzeitung.at


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Magenta

Mit „magenta“ legt Dine Petrik ihr neuestes Buch vor, ein schmales, wohlfeiles Bändchen mit Gedichten, das in vier Abschnitte unterteilt ist. „Auf die Worte“, so der Verlag in seiner Buchbewerbung, „ist ja nicht wirklich Verlass“. Dem muss hier entschieden widersprochen werden. Worte sind der Schatz jedes Schriftstellers. Und die Lyrikerin Petrik weiß sehr genau, wie und warum sie ihre Worte sowie den Raum zwischen ihnen, die Aussparungen, setzt. Passgenau und treffsicher erschafft sie mit ihrem Material, den Buchstaben, Verse, gibt Momentaufnahmen, vermittelt Erfahrungen, berichtet von Reisen, kommentiert das politische Geschehen, übt Zeitkritik. Konsequent ihre Kleinschreibung, das Weglassen von Satzzeichen, überlegt, ja komponiert jeder Zeilenbruch – manchmal ein Moment der Irritation, der das Denken aus eingefahrenen Bahnen schubst und den Blick der Lesenden weitet. Eine tragende Säule ist für die Lyrikerin auch hier wieder die Musik. Schubert und Chopin werden erwähnt, vielleicht Lieblingskomponisten Petriks, das musikalische Vokabular durchwirkt so manchen Gedanken, bereichert ihn, häufig in Molltönen, manchmal in Dur tänzelnd. Hin und wieder blitzt Humor durch, etwa wenn Fliegen auf dem Tisch Polonaise tanzen oder uns hackwurst mit häkelrosen beherrschen und wir vermeinen gleich im ersten Kapitel „am rathausplatz“ in den präzisen Beobachtungen der knappen, 5-8 Zeilen langen Gedichte die Lyrikerin auch einmal schmunzeln zu sehen und schmunzeln mit: davon ist die rede:/zwei im inkarnat/roten gewande mitten/im brevier & stolpern/in der zeile sex: o/gottigitt. In den drei folgenden Kapiteln sind die Gedichte länger, z.T. mehrstrophig, eines davon ein Schlüsselgedicht: gemeint//viel lärm innen: musiken/wirbel drehen spannen/haupt und nebensächlich/hecheln alte narreteien//sonst nichts zu sagen/eingeweckt sind meinungen/meriten warten auf/mit vollen backen//bis zur hälfte orient asien mit/wiener wurzel aus – aus sieben/bürgen bin ich wehrbäuerin, ur-/altes bronze aus kinshasa und so ... Im Anhang werden vom Verlag auf sechs! Seiten alle bisher in der EAS erschienenen Bücher aufgelistet. Ein Inhaltsverzeichnis zum vorliegenden Band „magenta“ fehlt indes, was bedauerlich ist.
Monika Vasik, Podium, 2015

... ein panorama wird aufgespannt und gleichsam gebrochen, weil neue elemente dazustoßen, den blickwinkel - eigentlich die färbung ändern. verschiebungen sind so das zentrale element. diese werden aber nicht durch wiederholung gewonnen, sondern durch brüche. ein ganz wichtiger faktor ist dabei der zeilenbruch, er schafft den raum für das vorerst unvermutbare, bildet gleichsam das drehmoment. es entstehen unterströmungen. gegenströmungen initieren offenheit, brüchigkeiten sind thema. fragile gewebe sind die folge.
christine huber, einleitung zur lesung von dine petrik, DICHTFEST, alte schmiede 11.12. 2014

Nur ein Formelement unterscheidet den lyrischen Text vom prosaischen: der Zeilenbruch, der eine Gedichtzeile vom der anderen trennt und damit auf die Zerbrochenheit der Welt hinweist. Petrik überlegt sich gut, wo diese Brüche stattfinden, im neuen Buch
MAGENTA werden sogar einzelne Wörter zerlegt, wenn es am Platz ist ...
Wiener Zeitung, 18.8.2014


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Hertha Kräftner: Die verfehlte Wirklichkeit

Im Oktoberwind fallen die Wangen zu Boden

>> Die gesamte Rezension lesen (pdf)
Dine Petriks Biographie über die früh verstorbene Hertha Kräftner zeigt die österreichische Autorin, die oft als Ingeborg Bachmanns kleine Schwester galt, in neuem Licht
„Lieber Harry, wenn Sie Zeit und Lust und Fahrgeld haben, dann sollten Sie eine Vorlesung des Dozenten Frankl hören, er zeigte gestern die schöne Heilung einer Neurose . . .“ So Hertha Kräftner lässig im Juni 1950 an ihren Geliebten Harry Redl. Parallel dazu hatten in einem Kalender, den Kräftner in einer Handtasche immer bei sich trug, Gedichte, Notizen zur Wirkung chemischer Substanzen und Phiolen mit tödlicher Dosis nebeneinander Platz. Einen „Kalender voll Gift und Liebe“ nennt ihn Max Bläulich, ein Herausgeber von „Kühle Sterne“, der reichhaltigsten Ausgabe des schmalen Werks jener Frau, die im Rückblick wie eine jüngere Schwester Ingeborg Bachmanns wirkt. Ähnlich schutzlos verletzbar, im nächsten Moment uneingeschränkt selbstbewusst. Am 26. April 1928 in Wien geboren, ist sie am 13.November 1951 an einer Überdosis Veronal dort auch gestorben....
Süddeutsche Zeitung, 27.01.2012, Hans-Peter Kunisch


Hertha Kräftner: 26.4.1928 – 13.11.1951. Freitod durch Veronal. Das in knapp fünf Jahren geschaffene Werk: Etwa hundert Gedichte, Prosa, Briefe, Notizen. Und zu viele Fragen, die blieben, nicht nur jene nach der Freiheit einer 23-jährigen, die keinen anderen Ausweg als den Tod sieht. Zu viele Leerstellen und Fehldeutungen in den vorwiegend männlichen biographischen Zuschreibungen, die den Blick auf die Autorin und ihre Literatur verstellen. Dine Petrik hat vor Jahren einen Text zu und über Hertha K. (Die Hügel nach der Flut, Otto Müller Verlag 1997) geschrieben, nun legt sie als Konzentrat ihrer Nachforschungen eine engagierte biographische Recherche vor, ergänzt durch ein Vorwort von Daniela Strigl. In immer wieder neuen Anläufen kreist Petrik um wichtige Lebensstationen der sensiblen Poetin, der Geburt in Wien, der Einsamkeit des Kindes und der Jugendlichen zwischen Mattersburg und Wien, den ersten schriftstellerischen Erfolgen dank ihrer Mentoren Hermann Hakel und Hans Weigel. Das bestimmende Trauma ist die Vergewaltigung der 17-jährigen beim Einmarsch der Russen Ende März 1945, in deren Folge der Vater durch den Säbelhieb eines russischen Offiziers verletzt wird und Monate später stirbt. Kräftner wird die Schändung verschweigen und sich am Tod des Vaters mitschuldig fühlen, beides Fakten, die nicht nur ihr schriftstellerisches Wirken maßgeblich bestimmen. Die zentrale Frage dieser Biographie lautet „was wäre, wenn“ alles anders verlaufen wäre, bis hin zur wichtigsten Frage, die gleich am Anfang gestellt wird: Was wäre aus dieser großen Begabung geworden, wenn sie professionelle Hilfe erhalten hätte „mit Hilfe einer mehrjährigen Psychoanalyse; mit einer intensiven therapeutischen Begleitung“? Statt dessen blieb Kräftner im Österreich der Nachkriegsjahre mit seinen frauenfeindlichen Moralkodices weitgehend auf sich allein gestellt und wird ein weiteres Mal missbraucht. Ihre wechselnden Männerbekanntschaften werden ihr vorgehalten, sie sei „Nymphomanin“ (©Hakel), nicht Opfer, sondern Täterin, eine Abtreibung wird zum Gespräch. Kräftner, die Vielschichtige, ist eine Gezeichnete, die „innerlich so sehr alleingelassen“ ebenso störrisch wie vergeblich nach Glück und Liebe sucht. 18 Monate vor dem Suizid notiert sie: „Wer macht die Wirklichkeit so trübe, dass ich sie verfehle?“ Dine Petrik hat dieses Zitat ihrem Buch vorangestellt. Es ist der Versuch einer beharrlichen Annäherung, eine kompetente und leidenschaftliche Spurensuche mit literarischen Mitteln. Petrik bleibt ganz nahe an Hertha Kräftner, lässt sie in Zitaten wie Gedichten zu Wort kommen, legt Puzzleteil an Puzzleteil und nimmt engagiert Stellung. Dabei hinterfragt sie auch die eigenen Beweggründe und bekennt, sie wolle „ihr eine Stimme geben, nicht mir ihren Ton“, mit all dem Wissen so präzise wie möglich „einen ihr gerecht werdenden Ton“. Das ist auf berührende Weise geglückt.
Monika Vasik, Podium, Mai 2013

Leben will ich

Lange hat es gedauert, bis sich die Germanistik an das Werk Hertha Kräftners wagte. Nun versucht Dine Petrik „Die verfehlte Wirklichkeit“ der Dichterin in einer empathischen Biografie einzufangen.
Erst ab 1990 drehte sich die Doppelhelix germanistischer Interpretationen der Dichtung Hertha Kräftners (1928 bis 1951) endlich ein. Vorher war der Sargdeckel mit der Aufschrift: „Jung verstorben; Selbstmord; viele Affären“ moralisch hermetisch abgedichtet. Dann ließen sich die klugen Deuter dieser sehr eigenwilligen Literatur-Auslege-Ware umfassend auf die sinnlich und sinnsuchend codierten Bilder ihrer ambivalenten Erotik ein, machten einen Blick hinein in die künstlerisch hochstilisierten, viele (Farb-)Sensoren des Unbewussten gewirkten Dessous einer preziös exquisiten Poetik (H. K. war wache Hörerin des De-Saussure-Schülers und Sprachwissenschaftlers Friedrich Kainz).
Damit getrauten sie sich auf die nahezu filmtechnisch in Zooms, Close-ups, in radikalen Körper-Teil-Schnitten und Überblendungen subtil konstruierten textualen Spielmuster genau hinzuschauen und machten sie als Spiegelscherben eines zerbrochenen lyrischen Ichs in der Nachkriegswelt fest. Sie riskierten den Blick heraus aus einer dem lyrischen Ich eigenen Schräge auf die (Beziehungs-)Schieflagen allerorten, auf die erstaunliche, ständig wache Lebens- und Schaffenskraft dieser Dichterin. Aus der Bewusstheit der jungen Dichterin, aus ihrem „inneren Reichtum“, stülpte sie von lautmalerischen Sprachnetzen überzogene Bilder nach außen. Nun begann eine adäquate Aufarbeitung der Bildikonen dieser Poetin und zeitigte differenzierte Ergebnisse.
Nun, zwei Jahrzehnte später, erscheint endlich auch die authentische Biografie der Poetin H. K. Jetzt ist das „Seelenbild“ einer jungen Frau, die, als hierzulande die zeitbedingte moralische Gefährdetheit beziehungsweise „Haltlosigkeit“ von Mädchen und Frauen moralisch und literarisch thematisiert wurde (von Marlen Haushofer, Erika Danneberg und anderen), in die richtigen empathischen Hände gekommen. Unter dem französischen Beute-Kolonialismus, den H. K. in seiner multiethnischen Vielfalt samt Folgen während eines Paris-Aufenthalts 1950 (im preisgekrönten Pariser Tagebuch) durchschaute, machte sie das „Blutbad“ der Abtreibung eines eigenen „Ungeborenen“ zum subtil codierten Motto der poetischen (Pseudo-)Liebes-Spiel-Anordnung für einen (für manche Germanisten heute noch unerträglichen) prosaisch-lyrischen Text: „An den gefallenen Engel“ – durch die Verwandlung des grausigen Geschehens in einen Akt der Metaebene, der Metamorphose. Die Erstherausgeber getrauten sich nicht, das Werk in die Neuausgabe von 1977 aufzunehmen.
Hertha Kräftners „Verfehlte Wirklichkeit“ ist nun also in dem Formvermögen Dine Petriks, die eine jahrelange Kraftanstrengung im Durchhaltevermögen der biografischen Grabungsarbeit an den Tag legte, im Durchsieben von nichts oder zu viel von Gerüchten und dem immer feineren Herausfiltern des größtmöglichen Wahrheitsgehalts. Dabei immer auf Hertha Kräftners Seite, auch bis in deren Sich-manche-Wahrheiten-zurechtbiegen-Müssen, um überhaupt zu überleben: „Leben will ich“.
Und niemand wollte etwas sagen
Viele Textpassagen bringen, ökonomisch gekonnt, geschickt eingesetzte Déjà-vu-Puzzleteile in Dine Petriks erfahrungs-kompetenter, sachlicher Präzision und gut geglückter, griffiger Bildlichkeit: von bereits an anderer Stelle als suggestive, künstlerisch essayistische landmarks gesetzten Eigen-Publikationen über die heute fast vergessene und kaum mehr verlegte Dichterin. Schließlich geht es ja biografisch immer um dieselbe und zur Sache. Es ist ohnehin klar, dass das stärkste Indiz für die irreversible, nur erste (?) „innere Beschädigung“ der jungen Hertha, die Schändung, darin besteht, dass niemand, schon gar nicht die von zu vielen Katastrophen verstörten Allernächsten, etwas dazu sagen wollten, konnten – auch aus Selbstschutz.
Also erforderte es eine unglaubliche Sortierleistung, aus den ineinander- und zusammenlaufenden Fäden ein geduldiges Nachfragen, Stimmenhören herauszufiltern, aus Interviews und Schriftlichem, Briefen, Tagebuchnotizen und anderen, auch oft ambivalenten Textquellen. Diese Rückgriffs-Prozesse Dine Petriks sind solides Patchwork von Kunst- und Handwerk zugleich, in präzise abgestimmten und motivisch stimmigen thematischen Verklammerungen, Schnitten an kritischen Nahtstellen, mit so dicht wie möglich an Detailfülle unterfüttertem, hartnäckig nachrecherchiertem Zeugenmaterial. Petrik bietet Indizien, sehr viel Intimes, und so ein „Seelen-Gesamtbild“ aus einer Zeit, den Fünfziger- und auch noch Sechzigerjahren, in der die Wiener Typisierungen psychischer Störungen undifferenziert vage, klobig waren, heutigen gegenüber plakativ. Um Freud ging man damals noch herum.
Und der letzte große Geheimnisträger, der ewige Verlobte Otto Hirss, wird auch nichts mehr sagen beziehungsweise gesagt haben. Oder nur in der Form von bloß Gewesenem – nur, dass Hertha Kräftner auch sehr fröhlich war und viel lachte, besonders über Sprachliches.
In Kommunikation mit dem strukturbildenden, auch auf Hochspannung bis zuletzt zielenden Futur (exakt) als Durchhaltegriff in weit ausgebreiteten Prämissen für die Schlussfolgerungen einer biografischen Annäherung an Hertha Kräftner ist die Polyphonie, in der „Die verfehlte Wirklichkeit“ verbal akustisch oft geradezu schwirrt und summt, böse zischelt, besonders gegen die „Sager“ der ältlichen „Förderer-Herren“ und anderer Kritiker. Es sind Überschreitungen der Datumsgrenzen mit syntaktisch locker angedockten Fakten, suggestive Klangteppiche, in Sprechsprache durchgeklopft, und eingestreute Text-Entstehungsdaten. Eine vitale Struktur.
Irritierend ist manchmal nur ein in zu kurz greifenden, in Ein-, Zwei-Wort-Sätzen qualifizierender Ton über das Unbewusste, an vielen Schaltstellen anzapfende Text-Ikonen (zum Beispiel „Jorinde“, „eine nette Verwandlungsgeschichte“), wo doch die Poetin selbst dieses Antimärchen (in: „Kühle Sterne“) interpretiert als das Unsagbare in der finalen Dekonstruktion einer letzten großen Liebe – und damit wieder eine der zentralen Leerstellen in ihrem Werk, dem Fremden mit den lebenskurzen Text-Ambivalenzen.
"Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2012, Sabine Grossi


... Der Dichterin Hertha Kräftner, geboren 1928, war das Glück ... eines langen Lebens nicht vergönnt. Sie starb 1951 durch Selbstmord – und das, obwohl sie als Autorin keineswegs erfolglos war. Die Frage, warum diese begabte, attraktive und gesellige junge Frau ihrem Leben so früh ein Ende setzen musste, beschäftigt die Wiener Autorin Dine Petrik schon seit längerem. Nun hat sie ihre Forschungen in der Biographie “Hertha Kräftner. Die verfehlte Wirklichkeit” (edition art science, St. Wolfgang 2011) zusammengefasst. Petrik zeichnet Hertha Kräftner als eine von Missbrauch und Misshandlung traumatisierte Frau, der es – trotz verzweifelter Bemühungen - nicht gelungen ist, die schwere psychische Belastung zu überwinden. Dine Petrik beschreibt dieses schwierige Leben der Dichterin mit jener engagierten inneren Anteilnahme, die sich der Identifikation verdankt. Mit den Maßstäben der Literaturwissenschaft gemessen, ist dieser starke Eigenanteil ein Fehler. Aber Dine Petrik wollte ja keine wissenschaftliche Biographie schreiben, sondern eine literarische. Und warum auch nicht? Es gibt genügend Leser und Leserinnen, die sich der Literatur aus persönlicher Betroffenheit lieber überlassen als der affektkontrollierten und sachlich abgesicherten Wissenschaftsprosa.
Wiener Zeitung, 20.1.2012, Hermann Schlösser

Literaturhaus Wien
Bereits 1997 veröffentlichte Dine Petrik unter dem Titel Die Hügel nach der Flut. Was geschah wirklich mit Hertha K.? ihre erste “Annäherung” an die früh verstorbene österreichische Schriftstellerin Hertha Kräftner, deren Todestag sich am 13. November dieses Jahres zum sechzigsten Mal jährte. Nun legt sie mit Die verfehlte Wirklichkeit eine weitere Biografie vor, bei der es, wie uns die Autorin wissen lässt, um keine literaturwissenschaftliche Aufarbeitung ihres Sujets geht, sondern „um die Annäherung an eine Biographin der Gefühle“ (S. 20), d. h. um den Versuch einer Klärung jener Faktoren, die zum Suizid der Dreiundzwanzigjährigen führten. Welche traumatischen Kränkungen lösten also Kräftners „Krankheit zum Tode“ aus, fragt die Autorin beharrlich in diesem gut recherchierten Band, der dem Leser das stark reduzierte Bild einer großen Liebenden und Leidenden gleichermaßen vermitteln will.
Doch zurück zum Anfang. Hertha Kräftner wurde am 26. April 1928 in Wien geboren und wuchs bei ihren Eltern im burgendländischen Mattersburg auf. Petrik spricht im Zusammenhang mit der Kindheit der späteren Dichterin von einer „Verstörung“, ohne diese klar zu umreißen. Zwar gerät das hochbegabte Kind nolens volens in die Rolle der Außenseiterin, womit sich die psychischen Störungen der Erwachsenen freilich nicht begründen lassen. Die traumatisierenden Ereignisse, die auch in Kräftners Werk ihre Spuren hinterlassen haben, sind nämlich viel später anzusiedeln.
Als die Rote Armee nach Kriegsende in ihre Heimatstadt einzieht, wird die junge Frau von russischen Soldaten vergewaltigt. Wahrscheinlich, so mutmaßt Petnik, ist dieses Verbrechen die Ursache für jenen folgenschweren Zwischenfall, der sich Ende März 1945 ereignet. Nachdem ein russischer Offizier in die Wohnung der Familie Kräftner eingedrungen ist, löst sich ein Schuss aus seiner Pistole, der die anwesende Hebamme tötet und den Arm ihrer Tochter durchbohrt. Während der Vater, Viktor Kräftner, einschreitet, wird er durch einen Säbelhieb im Gesicht und am Hals schwer verletzt und stirbt im September an den ihm zugefügten Schnittwunden.
Die sensible junge Frau fühlt sich wenig überraschend in zweifacher Hinsicht schuldig. Einerseits trägt sie den Makel der Schändung, anderseits glaubt sie für den Tod des Vaters verantwortlich zu sein. Die Erinnerung an diese einschneidenden Ereignisse lässt sich nicht verdrängen und stürzt Hertha Kräftner in Depressionen, zu denen sich neurotische Verstimmungen gesellen, die sie vergeblich zu kontrollieren sucht. Eine zeitweilige psychotherapeutische Behandlung bei Viktor Frankl zeitigt naturgemäß keinen Erfolg.
Kräftners Beziehungen werden durch ihre chronische Krankheit in Mitleidenschaft gezogen. Hinzu kommt, dass ihre Liebhaber – Otto Hirss, Harry Redl, Wolfgang Kudrnofsky und andere – weder das einfühlende Verständnis für die Stimmungsschwankungen der intelligenten, attraktiven Frau aufbringen, noch in der Lage sind, ihr den nötigen emotionalen Halt zu bieten. Während sich Kräftner in diesen komplizierten Liebesversuchen verschleißt, lässt sie eine Abtreibung durchführen. Daneben treibt sie ihr Studium der Germanistik und Anglistik voran, beginnt eine Dissertation und arbeitet emsig an ihrem Werk. Kräftner geht mithin in jeder Hinsicht an ihre Grenzen.
Mit minutiösem Eifer nimmt die Autorin die verwischten Spuren auf, kontaktiert Zeitzeugen und will dergestalt Licht ins Dunkel dieser durch Verleumdungen und Vermutungen entstellten Biografie bringen. Vor allem mit Kräftners vermeintlichen Gönnern aus dem Dunstkreis um Hans Weigel sowie ihren Liebhabern geht sie hart ins Gericht, sodass bisweilen der Eindruck entsteht, Petrik argumentiere in eigener Sache, wenngleich sie im Buch gelobt: „Ihr [= Kräftner] eine Stimme geben, nicht mir ihren Ton“ (S. 34). Diesem Vorsatz wird die Autorin allerdings nur bedingt gerecht. Einerseits gelingt es ihr, Kräftners Seelenleben auf plastische Weise darzustellen und so dem Rezipienten nahezubringen, anderseits geht die Involviertheit mit dieser tragischen Frauenfigur so weit, dass das biografische Projekt unversehens autobiografische Töne anschlägt. Es mag durchaus spannend sein, in die Genese der Verfehlten Wirklichkeit eingeweiht zu werden, weniger interessant wird die Sache freilich, wenn die Autorin dies als Vorwand für eine verbale Abrechnung mit persönlichen Widersachern missbraucht.
Dazu drei Beispiele: „Kräftner ist mein/unser Thema, ließ sich vor Jahren hören, also Hände weg von der Kräftner“ (S. 34). Oder: „Wenn Mann also hier so herzhaft sachlich sein darf, wird es schwierig, sachlich zu bleiben: ‚Täterin!‘ Oft und gern fallengelassen, ein Sager, den man gern überhört haben möchte, doch er kommt wieder, er wiederholt sich über die Jahre. Mann darf sich auch auf die Literatur-Wissenschaft(lerin) stützten, hat beste Kontakte, hat Zugang zum nötigen Finanztopf. So macht man das. Wer dagegen opponiert, korrigiert, wird zusammengestutzt als Erfinder, als Nestbeschmutzer, wird in Rundfunksendung per O-Ton gewatscht“ (S. 82). Ebenso: „Nochmals zu Kräftners ‚Liebes-Phantasmen‘, zur Liebe, ihren Männergeschichten und Eskapaden, zu ihrer Sexualität, liebend gern ausgeschlachtet durch die Sekundärliteratur und also nicht nur von den männlichen Nacharbeitern“ (S. 87).
Walter Wagner, 10. Jänner 2012


Durch ihren frühen Tod von eigener Hand legendentauglich, ist Hertha Kräftner als Dichterin bis heute zu wenig präsent in der österreichischen Literaturgeschichte der Nachkriegszeit. Daran mag zum einen eine Missdeutung ihrer Gedichte als epigonaler Trakl- und Rilke-Nachwehen schuld sein, zum anderen aber vermutlich gerade ihr „vorbildlich tragisches“ Ende, das den Blick zu Ungunsten der literarischen Analyse auf ihr Leben und Sterben lenkt.
Hier liegt nun ein Werk vor, dem man schwerlich vorwerfen kann, sich mit Hertha Kräftners Leben intensivst zu befassen, da es sich um eine, wenn auch nicht klassisch akademische, Biographie handelt. Nach Petriks erster Annäherung in „Die Hügel nach der Flut. Was geschah wirklich mit Hertha K.“ ist dieses Buch eine objektivierte Zusammenfassung des bisherigen, durch zeit- und energieaufwändige Recherchen ergänzten Wissensstandes. Wie bei ihr nicht anders zu erwarten, beschränkt sich Petrik aber nicht auf die kalten Fakten, sondern besteht darauf, diese im größeren Lebens- und Schaffenskontext zu deuten und so eine von vielen Widersprüchen gezeichnete Biographie plausibler und nachvollziehbarer zu machen.
Zunächst etwas gewöhnungsbedürftig ist die Chronologie, die mit dem künstlerischen Start in Wien beginnt und Kräftners durchaus von erster Anerkennung und literarischen Erfolgen begleiteten Weg bis zum Suizid nachzeichnet, bevor die dahinter/darunter liegende Schicht der Traumata enthüllt wird. Was das Nachschlagen eventuell erschwert, geht aber während der Lektüre voll auf. Die Geschichte der Hertha Kräftner ist auch eine Geschichte des unmittelbaren Nachkriegsösterreich, ein Lebensweg im Spannungsfeld von Außenseitertum und Mobbing, Andersheit und Konformitätsdruck, selbst-bewusster Arroganz und Unverständnis der Umgebung.
Die in den Text eingebetteten Kräftner’schen Gedichte liest man vor dieser Folie naturgemäß neu und mit größerer Aufmerksamkeit. Wie auch in Daniela Strigls Vorwort angedeutet, bietet Kräftner in ihrer Lyrik und Prosa Anhaltspunkte für eine individuelle „Lebens- und Leidens-, aber auch Lustgeschichte“, was das von der Germanistik gebetsmühlenartig eingeforderte Absehen von der Person zumindest erschwert. Gerade die in einer verklemmten Zeit offen gelebten Liebesbeziehungen, dürften auch (und nicht nur zu Lebzeiten) das Bild der Dichterin speziell (aber nicht nur) in der Männerwelt getrübt, bzw. zu einem an ihrem Werk überhaupt nicht mehr interessierten Voyeurismus Anlass gegeben haben. Als „allzuwillige Nymphomanin“ bezeichnete sie kein Geringerer als Hermann Hakel, der sich auch sonst durch frauenfeindliche Äußerungen hervortat, als zweiter großer Talenteförderer im österreichischen Literaturbetrieb neben Hans Weigel aber beträchtlichen Einfluss genoss. Solche und ähnliche leicht dahingeschriebene Verleumdungen wirken bis heute nach, was den wütenden Ton erklärt, in den Petriks Biographie zuweilen verfällt. Kalt und besonnen zu schreiben fällt nicht leicht, wenn sich munkelnde Bosheit an den Toten vergreift. Dennoch wäre die Wirkung der Fakten ohne derart ungefiltert zu Papier gebrachte persönliche Betroffenheit wohl eine stärkere.
Von diesem Einwand abgesehen ist Petrik hier ein unerhört spannendes und aufschlussreiches Buch gelungen, an dem keiner vorbeikann, der sich mit dem „inneren Reichtum“, aber auch mit dem Horror in Hertha Kräftners Leben beschäftigen will. Literarisches Österreich 2012/1, Wolfgang Ratz


Geschichtliche und zeitgenössische Aufarbeitung: Hertha Kräftner war eine junge österreichische Literatin der Nachkriegszeit. Sie wurde am 26.04.1928 in Wien geboren und starb mit 23 Jahren am 13.11.1951 an einer Überdosis Veronal. Mittlerweile ist es unbestritten, dass Kräftner in ihrer nur fünfjährigen Schaffenszeit Ingeborg Bachmann literarisch ebenbürtig war. Das wären die Fakten. Dass Kräftner an den Folgen der Geschehnisse der letzten Kriegstage 1945 und der gesellschaftlichen Unmüdigkeit der Nachkriegszeit litt und daran zu Grunde ging, damit beschäftigt sich die Autorin Dine Petrik. Petrik wurde 1942 in Unterfrauenhaid nicht weit von Kräftners Heimatort Mattersburg geboren. Auch sie hatte eine harte Kindheit zu beklagen. So ist es nicht verwunderlich, dass Petrik bezüglich Kräftners Biografie Fragen stellt, die sonst keiner stellt. Bereits 1997 erschien im Otto Müller Verlag Die Hügel nach der Flut. Was geschah wirklich mit Hertha K.? und etliche Annäherungen und Essays folgten im neuen Jahrtausend wie zuletzt im Standard/Album 18.07.2009 der Artikel Und das heißt Mädchen sein, welcher mit Abänderung auch in diesem Buch abgedruckt ist (S. 165 ff).
In völliger Kenntnis Kräftners Gesamtwerkes, recherchierte Petrik detailliert, man möchte sagen mit kriminalistischen Spürsinn, was in jenen Tagen, als die russische Armee Burgenland von den Nazis befreite, in Mattersburg geschah und anschließend in Kräftners Elternhaus sich für Gräueltaten abspielten. Es handelt sich um Schändung und Abschlachtung. Doch nicht genug, es geht darum, wie die Gesellschaft darauf reagiert und mit jenen Menschen umgeht, deren Leben derart dramatisch aus den Fugen geraten ist. Das überlebende Opfer wird kurzerhand zum Täter ernannt: Hertha Kräftner ist schuldig! Sie ist schuldig sich den gesellschaftlichen Gesetzen der Anpassung, der Verdrängung, des Vergessens und der Selbstverleugnung nicht fügen zu können. Trotz schweren Bemühens sich in die Gesellschaft einzuordnen, mit Hilfe eines Studiums, einer Beziehung, einer möglichen Heirat, entgleiste sie, suchte zwecks Selbstheilung Halt bei vielen Männern, vermischte das Studium der Germanistik und Anglistik mit dem der Psychoanalyse. Resultat: ein Scheitern auf allen Linien, weil ein nicht endenwollendes Studium und eine Abstempelung zur Nymphomanin sie zusätzlich quälten. Petrik nimmt sich kein Blatt vor den Mund, wenn sie die großen Förderer der jungen österreichischen Literatur, vor allem die der Jungliteratinnen unter die Lupe nimmt. Da wären vor allem der renommierte Hermann Hakel mit seiner Literaturzeitschrift Lynkeus, aber auch der Förderer der Jungliteraten schlichtweg Hans Weigel, der sein Fett abkriegt. Sogar dem Psychiater und Begründer der Logotherapie, dem Spezialisten schlichtweg für Depression und Suizidgefährdetenpatienten Viktor E. Frankl, dessen eigene Familie im KZ völlig ausgerottet worden war und er selbst noch gerade rechtzeitig durch die Befreiung der US-Armee mit dem Leben davongekommen war, könnte man bezüglich Kräftners Freitod ein schlechtes Gewissen anlasten. Was ist eigentlich Thema?, fragt Petrik und kommt zur Erkenntnis, dass konsequentes Verschweigen, verletztes männliches Ego und die männliche Unterlassungsstrategie nicht nur Schuld an Kräftners Tod sind, sondern heute noch zur Debatte stehen.
Petriks ungewöhnlicher kämpferischer Schreibstil verstärkt Kräftners Projektionen, komprimiert (verdichtet!) Kräftners Leben und Werk. Fazit: Eine aufwühlende, authentische Geschichtsbegradigung!
Ingrid Reichel, Etcetera, Nov. 2011


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wortreich . verschwiegen

wortreich. verschwiegen.
Wie der Titel suggeriert, entfaltet sich Petriks Lyrik im Spannungsfeld von Offenheit und Diskretion, überraschender Hingabe an den Leser und Rückzug in die Innenwelt der Wörter, auf welche die Dichterin ihren Fokus richtet. Lexeme, die sie mit ihrem poetischen Zauberstab berührt, zerfallen in ihre Bestandteile und ergeben getrennt verblüffende Sinnverschiebungen, wodurch eine parallele Lektüre ermöglicht wird. Aus dem Adverb "beinah" entstehen unter Anwendung von Petriks 'Methode' etwa "bei nah", also eine Präposition und ein Adjektiv, wobei der Eindruck von "Nähe" verstärkt wird. Aus einem farblosen "überhaupt" lässt sich, um ein weiteres Beispiel zu nennen, das Paar "über haupt" mit lokaler Bedeutung einschließlich Referenz auf einen konkreten Körperteil gewinnen.
Bisweilen tritt im Zuge einer Wortspaltung ein Stück konkreter Poesie wie "gesunde trenn kost" zutage, oder wie zufällig aufeinander stoßende Homophone bringen Verse plötzlich zum Erklingen: "berufe ufere aus an seiner ach/sel wie das meer sand/lecke ich nach gründen." Das Salz der Achsel enthält das französische "sel" und gesellt sich zum "meer", woraus sich konsequent "lecke" ergibt, was sich wiederum mehrdeutig er-"gründen" lässt.
Wenn es der Poetin gefällt, werden Wortfamilien auch nach phonetischen Gesichtspunkten kombiniert und erweitert, sodass unversehens "gähnen" mit "gen", "genial" und "gegen" korrespondiert. Mit Recht lassen sich diese Verse daher mit russischen Puppen vergleichen, die obendrein als fremdartige Klangschalen fungieren und dem Leser genaueres Hinhören abverlangen. Wer allerdings nach tieferer Bedeutung forscht und den Band verdrossen beiseite legt, dem sei ein eingestreuter Kommentar ans Herz gelegt: ": schreiben ist deine musik/zu sagen hast du nichts."
Diese so eng an Musik grenzende Lyrik wächst sich, unterstützt durch Gerald Zugmanns fotografische Beigaben zu Beginn jedes neuen Kapitels, zu einem wahrhaft romantischen Gesamtkunstwerk aus, das, wenn auch zögerlich, Themen preisgibt, welche die Reflexion zu lenken vermögen. Handelt wortreich. verschwiegen in einem Kapitel von Begegnung und Trennung, setzt sich das lyrische Ich in einem anderen mit dem virtuellen Raum auseinander und erklärt: "ich bin bereit zum sprung/durchs neue fenster." Das ist schön und irgendwie bekannt und transponiert den historischen Fenstersturz in die Postmoderne, wo der User außer Viren und Trojanern keinerlei Gefahren zu gewärtigen hat.
Vom Zeitalter der digitalen Leichtigkeit führt uns Petrik zurück in die Ära der Venus von Willendorf, stattet Gilgamesch einen Besuch ab, hält kurz bei den Pharaonen und "den hohen hinter/gründigen gräbern", um schließlich durch die Lagunen von Venedig zu surfen. "wie leicht du abhebst", schreibt sie, "zwischen bits & bytes/dich glauben machst/es gibt dich wirklich" und setzt dem Schein die hehre Wahrheit des Wortes entgegen. Zwar gebietet es der Verzweiflung nicht immer und automatisch Einhalt, gleichwohl ist ihm die vage Hoffnung auf Dauer eingeschrieben, wie Petrik mit Verweis auf Hertha Kräftner verkündet: "augen auf/das letzte/wort ist/nicht/gesagt."
Der Gang durch diese Lyrik gestaltet sich wie das Flanieren durch einen Garten der Sprachkunst, in dem eine Kunstsprache wundersame Blüten treibt und auf duftende Nebenwege lockt. Zugmanns Bilder unterstreichen Petriks fremdartig gebrochenen Blick auf Vertrautes und verstärken die Magie dieser versonnenen Verse, die, sich selbst spiegelnd, letztlich keiner weiteren Erklärung bedürfen.
Literaturhaus, Walter Wagner, 9. März 2010


„STEHEN WOLKEN KOPF“ – Dine Petriks neuer Gedichtband
Seit vielen Jahren ist die Edition Niederösterreich dafür bekannt, Autorentexte jenseits von Illustrativem mit künstlerischem Bildmaterial in einen Dialog zu bringen und so aus den Büchern auch bibliophile Objekte zu gestalten. Im neuen Lyrik-Band „wortreich.verschwiegen“ von Dine Petrik ist der bekannte Fotograf Gerald Zugmann mit suggestiven Detailaufnahmen von Pflanzenarchitekturen vertreten, die den spröden und rätselhaften Gedichten ihr frei assoziierbares visuelles Pendant liefern. Denn auch Dine Petrik dringt durch ihre poetische Detailarbeit in die Baustrukturen der Sprache an, verflüssigt Sinnelemente, kristallisiert auseinanderliegende Bilder zu Wortklonglomeraten. Schon der Titel verweist auf insgeheime Subtexte und bloß angekratzte Elemente des Schreibstroms. Hier kommt - lang über kurz- Sprache zu sich, mit spärlichen Außenverweisen. Diese immer wieder hermetischen Texte sind glücklicherweise nicht nachzuerzählen und geben keine plakativen Inhaltsangaben her. Man muss sie wirklich als eine verbale tour de force selbst und alleine lesen, der Ahnung freien Lauf lassen und im abenteuerlichen Interpretationsgestrüpp letzte Wegfindungen sichern. Was nun passiert: Disparate Gefühlssplitter, bruchstückhafte Reiseerinnerungen, Wortblitze und aufgeschnappt Momentanes, alltäglich Allfälliges, dann wieder völlig freie Rede am Rande des Nichtschweigenkönnens, Groteskes auch zwischen dem lyrischen hohen Ton und dem unausweichlichen Newspeak des Computers und seiner Zeitgenossen, dunkle Restahnungen von Natur, dann wieder aufgetauchte Mythen und ein abgetauchtes Ich – Seite für Seite ein neu geöffnetes Textfenster auf Außen-und Innenlandschaften, gefiltert durch fokussierte Sprachspiele und einer irgendwie wehmütigen Sehnsucht, auch den Formen der Liebe nochmals eine spröde Sprache zu geben, die den Konflikt ebenso trägt wie das schwierige Verstehen zwischen Jahreszeiten oder einem sich zu erkämpfenden Gegenüber.
„such mir das weite / auge / bis mein / mund sich in / die kurve legt “
ALBUM/ Der Standard, 6.3.2010, Josef Schweikhardt


“schreiben ist deine musik/ zu sagen hast du nichts” erklärt die Dichterin. Diese Aus-
sage muss man allerdings nicht unbedingt für ein Zeichen von Bescheidenheit halten. Die
Musik ist ja – jedenfalls nach romantischer Vorstellung – eine höhere Kunst als die Dichtung und zwar gerade weil sie nichts “sagen” muss, sondern einfach nur “tönen” darf. Aus diesen Tönen kann jeder Hörer das Seine heraus hören, genauso wie vielleicht geneigte Leserinnen u. Leser im Wortreichtum der Dine Petrik manches erahnen mögen, was darin “verschwiegen” ist.
Wiener Zeitung EXTRA, Bücher, 12./13.6.2010, Hermann Schlösser


Grenzsituationen
Es sind kleine Blitzlichter, Mosaikbausteine, die Dine Petrik aneinanderreiht und sie zu nachdrücklichen Bildern wachsen lässt. Einzelne Worte nehmen sorgsam die Spur auf, die zu bestimmten Situationen führt in der Kindheit, auf Reisen, in der Liebe. Die Brüchigkeit der Beziehungen, des Heimeligen wird so gewahr. Die Erinnerung ist in der Krise. Auch die Illusionen haben sich verflüchtigt. Die Vertrautheit bekommt Risse und verlassen kann man sich auf nichts mehr. Schon gar nicht auf das einzelne Wort, denn in der Kombination ergibt sich eine neue Wendung, ein anderer Drall, den Dine Petrik bewusst sucht. Dadurch ermöglichen sich immer neue Facetten, zeigt sich ein Zusammenhang, der überraschen kann. Es sind keine verhörten Situationen, wiewohl ein ungewohnter Blickwinkel irritieren kann und wahrscheinlich auch soll. Sie nutzt ihre Lyrik auch zu Antworten, als Positionsbestimmung oder als Vertrauensbekundung. Bestimmte Begriffe, Fundstücke, auch englische Einsprengsel wiederum werden aufgenommen und von ihren Worten umgarnt. Das kann glücken und sich dadurch ein neuer Spannungsbogen ergeben.
Sie beweist daneben Ironie, etwa in „halt den mund wenn du gähnst“, wo die „Gletscher brüten“ und die neue Zeit einen Pokal aus Blech gebärt. Dann „eckt und reckt“ sie die Sprache und Glattes wird Uneben. Melancholie verbietet sie sich dafür eher.
Die Gedichte des schön gestalteten Bandes harmonieren gut mit den Fotos von Gerald Zugmann, die als Einleitung, als Statement zu den einzelnen Kapiteln zu sehen sind.
T.H. Buchkultur, Heft 128, Feber/März 2010,
Fazit: Facettenreicher Lyrikband, der seine LeserInnen fordert

Ein eues Buch von Dine Petrik, ein besonders schön gestaltetes, soviel darf ich vorwegnehmen. Die Bilder von Gerald Zugmann führen ihren eigenen Dialog mit den Gedichten der Autorin, sind ganz und gar keine Illustrationen, die dem Leser den Text erklären oder „ausdeutschen“ wollen.
Im 2007 erschienenen Podium-Porträt bezeichnete Petrik die lyrische Form für sich als „ausgeschöpft“. Schon damals drückte ich dennoch meine Hoffnung auf weitere lyrische Arbeiten aus und bin nun sicher nicht der einzige, der Grund zur Freude hat.

Die neuen Gedichte (bzw. die Gedichte des neuen Buchs, denn wer weiß schon so genau, wie lang die Entstehungsgeschichte eines Textes ist, den man vor sich sieht) scheinen mir um eine Spur weniger sperrig, weniger verzwickt als im Vorgänger, obwohl die Autorin auch hier nicht auf das sinnschärfende Spiel mit Wortstellungen und Zeilenumbrüchen verzichtet. [...] mit wachen knien das gehör im anschlag [...] aus „gestrauchelt oft“ scheint mir eine programmatische Formulierung zu sein. Das Gehör - so scharf (und gefährlich?) wie eine Waffe, die Knie, der Körper hellwach. Doch dem Leser ist es fast unmöglich, nicht auch „weiche Knie“ hineinzulesen. Und das ist ja wohl kein Zufall. Petriks Gedichte verleiten und leiten immer dazu an, anders zu lesen, sich auch zu verlesen.
Natürlich gibt es primäre und sekundäre Lesarten, und außer den sekundären auch die offensichtlich falschen, doch auch die falschen sind Assoziationsfleisch des Gedichtes.

Als Fremdkörper wirken in manchen Texten englische Einsprengsel. Hinweise auf die allgegenwärtige Einheitssprache des globalen Dorfs? Verbindungen zur Finanz- und IT-Welt drängen sich ebenfalls auf, und nicht zuletzt das bunte Grauen der Spaßwelt (in der jeder Fremdenverkehrsprospekt Events, Action und Fun ankündigt, nein: anzukündigen hat).
Doch auch Alltags- und Jugendjargon werden auf Lyriktauglichkeit geprüft: [...] ein an / geschlagenes tschüs mit // spitzer gabel aufgespießt im / kochtopf schwelt der letzte satz [...]
(„stress los“)

Viel Sinnlichkeit und gegen den Strich gebürstete Sehnsucht spricht aus einigen Texten. [...] näher noch / meiner seel // halte ich / eine hymne lang // deine gleiche / näher noch / deiner seel: // das wir - vielleicht später („bloß mühe los“)
Selbstverliebte Innenschau wird man in dem Buch nicht finden, die Ironie tritt der Melancholie auf die Zehen und die desillusionierende Außenwelt mitsamt ihrer „po/politik“, ihren „ab schiebung“(en), ihren „zähnefletschern“ macht vor der Lyrik auch nicht halt.
Und doch scheint mir dieses Buch besonders viel Musik zu enthalten, ausdrückliche und unterschwellige. Wortmusik jedenfalls. [...] wie durch ein glaukom sätze silbern / nur im klang der flöten / auf dem dach / tauen die worte // suchen sich sätze / fügen sich - / erfühlen sich im takt // :schreiben ist deine musik / zu sagen hast du nichts („musik sucht worte“)

Ausgerechnet „kein gedicht mehr“ ist der Titel des vorletzten Gedichtes: ich will dich nicht / gedicht // ich streue dich bloß aus / aus meinen fingern zirka // bis -bloß ein paar worte ungelenke / einfach so [...] bis ich selber einging / ich mich häuten / ließ von dir - // :wenn nun meine heute enden / übertrauerst du mich denn // du nicht“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Literarisches Österreich, 2009/2, S 28/29, Wolfgang Ratz


GEGENWARTSLITERATUR 1767
Wortreich verschwiegen

Der Kopf der Lyrik, sagt man oft, ist der Titel, unter dem zahllose Gedichte zwischendurch gebündelt ins Licht der Lese-Realität treten.
Dine Petrik hat den Titel klug gewählt, denn einerseits bezeichnet das Wortpaar „wortreich.verschwiegen“ das Wesen der Lyrik überhaupt, andererseits bezeichnet es sehr genau, was sich im Innern des Gedichtbandes so alles abspielt.
Kernsituationen wie Liebe, Reisen, Kindheit, Zeit lassen immer auch einen gewissen Wortüberschwang zu, der aber allzu bald an jene Grenze stößt, wo „Verschwiegenheitspflicht“ herrscht.
Dine Petrik überschreibt die einzelnen Sequenzen mit GEGEN ÜBER; HINTER BLIEBEN; STÄDTE STÄTTEN, LANG ÜBER KURZ, CITY NÄHE. Manchmal erinnern diese Überschriften an eine verhörte Situation, worin jemand noch einmal nachfragt, aber bereits eine andere Antwort bekommt, aber auch eine frische Schreibweise kann plötzlich einen neuen Sinn ergeben, der Ausriss aus einem geseufzten Sprichwort oder das Aufbrechen eines kernigen Begriffes wie City, worauf hin nur noch eine vage Entfernungsangabe übrig bleibt.
Wortreich verschwiegen ist vielleicht die paradoxe Parade-Konstellation für Liebende, Angebetete und Verlassene, wobei die Sprache zwischen noch ungebrochen hervorquillt, aber der Sinn-Strahl bereits unterbrochen ist und die wichtigsten Sachen bereits verschwiegen bleiben.
So eine kleine Sequenz mit dem Mond zeigt diese Ambivalenz, einerseits zeigt er am Firmament bloß immer eine Seite, aber auch am Liebenden an der Seite bleibt immer bloß der eine Schatten eines Mondes haften.
„mond geladen // treibst mich herum / spießt dich erdlich // durch die pupille / fühlst mich aus // verwirrst mir die / für morgen früh / gestimmten lieder // bist oft voll / und zeigst mir // doch nur eine seite / nacht für nacht // :hab ich dich satt“ (12)
Immer wieder kippen scheinbar eindeutige Bilder um und ergeben einen neuen Sinn, ob es sich um einen Hauch aus der fernen Kindheit handelt oder um eine scheinbar unsichtbare Handbewegung während einer Reise, plötzlich von einer Zeile zur nächsten erschließt sich im Gedicht nach vorne und hinten gleichermaßen ein neuer Sinn.
„ich will dich nicht / gedicht“ (83) sperrt sich am Schluss das lyrische Ich gegen diesen permanenten Parforce-Ritt durch Bilder und Zeichen jenseits aller Gemütlichkeit des Eindeutigen.
„wortreich.verschwiegen“ ist ein geduldiges Schleifen an der Zeit, ein permanentes Abtasten jener Grenze, an der zuerst nur noch geflüstert werden darf, ehe sich der Sinn im Verschwiegenen zeigt.
 
Dine Petrik: wortreich.verschwiegen. Gedichte. Mit Fotos von Gerald Zugmann.
St. Pölten: NÖ-Literaturedition 2009. 87 Seiten. EUR 20,-. ISBN 978-3-902717-01-6.
Dine Petrik, geb. 1942 im Burgenland, lebt in Wien.
Helmuth Schönauer 20/10/09


"wortreich. verschwiegen“ ist nunmehr der fünfte Gedichtband von Dine Petrik.
Die gebürtige Burgenländerin bestätigt darin ihren autonomen, stimmigen Stil der Wortverrückung und verschiedener Konstellationen.
Das kann zwar manchmal beim Lesen etwas mehr Einsatz abverlangen, ist aber auf der anderen Seite bei Lyrik ein absolut berechtigtes Kalkül.
Petrik weiß mit Sprache und Worten umzugehen, rein gefühlsmäßig möchte ich meinen, dass kein Wort zufällig den Weg aufs Papier gefunden hat.
Das Gedicht „von dir zu mir“, in Erinnerung an den persischen Dichter und Mystiker Rumi geschrieben, wird nicht nur dem zugewidmeten Dichter gerecht, es endet einfach wunderschön:
„ .... wenn wir / ineinander // atmen wird ein / garten sein in // unseren augen / die sich lachend // in die zukunft heben“
Die Gedichte in diesem Band sind in fünf Kapitel unterteilt, die jeweils mit einer Fotografie von Gerald Zugmann eingeleitet sind. Daraus entwickelt sich eine harmonische Zusammenarbeit, die durch die gewohnt ansehnliche bibliophile Ausstattung der Literaturedition Niederösterreich ein wahrlich schönes Buch ergibt.
Und weil Lyrik auch einmal wehtun darf, sei an dieser Stelle der letzte Vers von „alte ikone“ zitiert, damit Sie sich, werte Leserin, werter Leser, ihr eigenes poetisches Bild machen, das einfach lange noch nachklingt:
„... hockt im gestell / der jahre schräg // der mond ein / rostiger heller zeit / nickt aus ikonen // alt der song / von Johnny Cash: // ein solo schmerz“
P0DIUM 153-154, S 179, Rudolf Kraus


Dine Petrik geht als Lyrikerin unbeirrbar ihren eigenen, unverwechselbaren Weg. Ihr ausgeprägtes Sprachbewusstsein, kühne Wortkonstellationen, ein behutsames Verändern und Verrücken der Worte, das auch klugen Witz und Esprit nicht entbehrt, lassen eine neue Sicht auf Alltägliches entstehen. Mit den so entstehenden Bildern und dem für ihre Gedichte charakteristischen eigenwilligen formalen Aufbau konfrontiert sie den Leser mit den Gedanken einer querdenkenden und querschreibenden Frau, deren Gedichte kein oberflächliches Lesen zulassen.
Verlag, Dine Petrik, 4.10.2009

 

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Bibliotheca Alexandrina. Unterwegs auf Weltwunderboden

...In einem Band, der Fotos der Bibliothek von Gerald Zugmann enthält, macht die öster- reichische Autorin Dine Petrik in leichtem, persönlich gefärbtem Reportagestil einen
Streifzug durch den Neubau, durch die alte und neue Geschichte der Ptolemäerstadt und der antiken Bibliothek - der Geburtsstätte der systematischen Philologie und Lexikographik.
SÜDDEUTSCHE Zeitung, St.V2/4-V2/5, Deutschland, 22.Nov. 2005

...Dine Petrik setzt sich in Bezug zum Gegenstand ihres Textes, aber sie vergisst dabei nie, dass nicht sie selbst der Gegenstand ist. Sie artikuliert ihre Reaktionen, ihre Gedanken, auch Wertungen, sie macht die Subjektivität ihrer Wahrnehmungen deutlich und somit kritisierbar. Aber sie verzichtet auf jene sentimentale Selbstbeobachtung, die manche Reportagen unerträglich macht.                            
Die Presse, SPECTRUM, 30.Juli 2005, Thomas Rothschild

...Petrik war in der Gegend der Bibliotheca Alexandrina unterwegs, auf Weltwunderboden,
und hat anhand dieses, man könnte sagen, Remake eines Weltwunders, die verwirrende und bewegte Geschichte der Region zu einem essayistisch gefärbten Reise-Architektur-Geschichtsband gemacht.               
Der Standard, ALBUM, Architektur, A8, 20.August 2005, Ute Woltron

Dine Petrik schreibt das Porträt der ägyptischen Stadt Alexandria und gerät ins Schwärmen: “In hellen und weiten Schwüngen steigt die Stadt aus dem Meer. Aber bald lenkt sie ihren Blick von der Gegenwart ab, bringt sie die mächtige Geschichte ins Spiel, und weiß auch von ihr großartiges zu berichten, von Alexander etwa, der vor den Pyramiden ehrfürchtig erschauert und die alte Kultur begeistert studiert. Petrik widmet sich freudig der neuen Architektur, vor allem dem gigantischen Neubau der Bibliothelk
SALZBURGER Nachrichten, VIII, 2005, (R. beste Bücher) Anton Thuswaldner

... Dine Petriks Buch ist Reisebeschreibung und Liebeserklärung an Ägypten im All- gemeinen und Alexandria im Besonderen, ein Schwelgen in Geschichte und vielerorts auch ein Spekulieren. Fragen nach dem Standort der alten Bibliothek, Kleopatras Hafen und den vielen untergegangenen Monumenten und Schiffen werden aufge- worfen und die ewig unbeantwortbare Frage „Was wäre gewesen, wenn?“
...Gerade diese persönlichen Emotionen, Gedanken und Mutmaßungen machen die Geschichte, welche einer Handlung im eigentlichen Sinn entbehrt und sich „nur“ aus Umgebungsbeschreibungen und Assoziationen geschichtlicher Ereignisse zusammensetzt, sympatisch und selbst für Unkundige und Laien auf dem Gebiet der Ägyptologie interessant und lesbar.
KOLIK Zeitschrift für Literatur, Nr. 33,  März 2006, Astrid Reupichler

Dine Petriks literatisch-essayistische Ägyptenreise stellt Alexandria und die Bibliothek in dem Mittelpunkt. Ihr Schreiben führt die Autorin von der Gegenwart bis in die Vergangenheit und wieder zurück. Sie nähert sich schreibend der Geschichte von Alexander und dem Bau der Stadt als „Schnittpunkt der Welten“ ebenso wie jener von Cleopatra und Cäsar, des europäischen Imperialismus und der Befreiung davon und widmet sichj liebevoll dem heutigen Alexandria. Der Reisebericht zeigt von genauer Recherche und zeichnet die architektonische und kulturelle Bedeutung der Bibliothek von ihrer Gründung über ihre Zerstörung bis hin zum Neubau auf sensible Art nach. Die persönlichen Beobachtungen der Autorin führen uns dazwischen immer wieder in die Gegenwart einer Stadt, deren „ganz eigenes Flair“ sich im „hellgolden flutenden Mittelmeerlicht“ zwischen der „Riesenscheibe“ der Bibliothek und den sie umgebenden
Zeugen alter und gegenwärtiger Kultur entfaltet ...
Österr. KULTURFORUM KAIRO, Andrea Rosenauer (Lektorin a.d.Shams Univ. Kairo) Lesung D. Petriks im KF Kairo am 14.11. 2005, 18 Uhr
Andrea Rosenauer: Petrik erzählt in Kairo, wie in ihrem Kopf ein Film abzulaufen begann über das antike Zentrum des Wissens und das versunkene Weltwunder, den Leuchtturm von Pharos ...

Zwischen den Autos des modernen Alexandria den Geist Alexanders des Großen zu spüren, das bedarf eines poetischen Talents. Dine Petriks „Bibliotheca Alexandrina“ hat dieses Talent, Sie lässt zwischen den hypermodernen Stein- und Glasfassaden der neu erbauten Bibliothek den Geist des Altertums wieder erstehen, baut vor unseren Augen den als Weltwunder geltenden Leuchtturm auf und hält Zwiesprache mit Alexander, dem Gründer der Stadt...
BÖRSEN-KURIER, 49/L, 2004, Christiane Laszlo

In ihrem neuen Buch „Bibliotheca Alexandrina“ porträtiert die österreichische Schriftstellerin die Metropole und deren große Tradition ... Auch das moderne Alexandria wird von Dine Petrik beschrieben und bedacht. Vor allem beschäftigt sie sich mit der wieder aufgebauten Bibliothek, die nicht nur ein bedeutendes wissenschaftliches Zentrum, sondern auch ein Meisterwerk der zeitgenössischen Architektur ist.
WIENER Zeitung, Porträt, S 8, 16. Dez. 2005

Bei Bibliotheca Alexandrina handelt es sich um einen Reisebericht, der – mit allen Qualitäten literarischer Sprache versehen – auf eine bekömmliche Art Geschichte verabreicht. Denn dieser begegnet die Autorin während ihres Besuches in Alexandria mit jedem Schritt. Natürlich bedarf es des kundigen Auges, um die vorgefundenen sprechenden Zeugnisse der Vergangenheit auch als solche zu erkennen, und des dazugehörenden Wissens, um die mit ihnen verknüpfte Geschichte zu erzählen. Aber auch jüngst entstandene Bauwerke – wie die 2002 neu eröffnete Bibliothek – lassen ihre antiken Vorgängerinnen vor dem geistigen Auge der Besucherin wieder erstehen...
(SIC!), Forum für feministische Gangarten, 51, Dez. 2004, Hilde Grammel

... Nun wurde von der ägyptischen Regierung ein neues Bibliotheksgebäude errichtet mit dem größten Lesesaal der Welt. 2002 fertig gestellt, besitzt die Dachkonstruktion einen Durchmesser von 160 Metern, der Lesesaal bietet 2000 Studierenden Platz. Auf der Fassade, die mit Granit platten verkleidet ist, befinden sich 6300 Schriftzeichen der verschiedensten Schriften und Sprachen. Ein architektonisches und ideelles Weltwunder...Dine Petrik hat sich eingehend mit dieser Materie befasst, dennoch ist das Buch kein wissenschaftlicher Essay, sondern eine Literarische Kulturreise, die es genau zu lesen gilt, um die Fülle an Informationen nicht zu übersehen ...
Podium, 137/138, 2004, Manfred Chobot

... Ausgehend von der Faszination einer visionären Architektur am Knotenpunkt zwischen Asien, Afrika und Europa, hebt ein literarischer Essay an, der in assoziativen Kaskaden Geschichte und Gegenwart dieses Weltwunderbodens, auf dem die neue Bibliothek steht, Revue passieren lässt ...
Etcetera, H. 22, Nov. 2005, Thomas Fröhlich

....Immer wieder sind es bauliche Elemente, Blicke auf Gebäude, auf die Stadt, - von den Ägyptern als “Perle des Mittelmeeres” bezeichnet, die Dine Petrik zu Exkursen in die jahrtausendealte Geschichte dieses “Weltwunderbodens” einlädt ...ein assoziatives Herangehen an die Geschichte Ägyptens, der Ptolemäer, der Griechen und Römer und natürlich Kleopatras. Die Lyrikerin Dine Petrik verleiht diesen historischen Exkursionen eine Sprache, die uns eintauchen lässt, ja gerade zu hineinzieht in den Strudel der Vergangenheit ...
LITERARISCHES Österreich, 2/2007, Judith Gruber Rizy

 

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Jenseits von Anatolien. Eine Reise ins Oströmische Reich

... Aus ihrer Ablehnung von Nationalismen, der türkischen im Besonderen, macht Petrik
keinen Hehl. Zum Teil heftig polemisierend schreibt sie dagegen an,  stellt sich vorbehaltlos auf die Seite der Entrechteten. Nicht nur die Grenzen von Zeit und Raum, auch die des eigenen Ich werden gesprengt: „Hinter der Römerstraße herrschten sie einst, die Hunnen. Ich war eine von ihnen. Ich konnte die anderen sein. Alle konnte ich sein.“ Wenn sie mit den Samstagsmüttern am Galatasaray-Platz in Istanbul gegen das Verschwinden von deren Familienangehörigen demonstriert ... Ein Reisebericht, der Fremdes vertraut bzw. nachempfindbar macht und neben sachlichem Erzählen auch lyrischen Passagen breiten Raum gibt.
Der Standard, ALBUM, 21. Dez. 2002, Barbara Angelberger

... Petrik vermag die Geschicke des Orients mit denjenigen ihrer Heimat immer wieder zu
verflechten und so Betrachtungshorizonte aufzureißen, die das Verbindende weit über das
Trennende stellen. Opfer und Täter können nicht sauber voneinander getrennt werden, jede moralische Anmaßung greift zu kurz. Trotz ineinander geschobener Stile, manchmal fast abgehackte Erinnerungsbeschreibung, dann lyrische, auch elegische Partien, bleibt dieses Buch ein Versuch der Orientierung: im Einholen des Fremden eine Begegnung mit dem Eigenen.
Die Presse, SPECTRUM, 21./22. Sept. 2002, Peter Kampits

Dine Petriks Texte – Hybride aus Essay und Reisebericht, kreisen höchst anregend um eine alte und noch immer aktuelle Frage: jene, was das Fremde sei. Dies freilich geschieht nicht abstrakt und aphoristisch, es geschieht im Entdecken, das sich im Reisen und Nachlesen vollzieht. Das Fremde ist dabei nicht zuletzt der oftmals zur Herausforderung „wahrer Kultur“ stilisierte Islam, das Eigene jenes Abendland, dem Dine Petrik in mehr als einem Fall Bigotterie und eine reichlich pragmatisch definierte Moral nachweist.
LITERATUR und KRITIK, H. 367, Sept. 2002, Martin A. Hainz

Stolpernd im Osten. Mehr als dreimal gen Osten hat sich die österreichische Autorin Dine Petrik verneigt, um ihre große Reise ins Weichbild des Seldschuken-Reiches vorzubereiten. Jenseits von Anatolien sucht sie die Spuren des oströmischen Imperiums und findet – neben Ruinen von Troja und Babylon – den Scherbenhaufen manch tragischer politischer Realität. Quer durch die Lande hat sich die Protagonistin aufgemacht, um im Gestern das Heute und im Jetzt das Vorgestern aufzuspüren ...
Neue Züricher Zeitung, 28, 29. Sept. 2002, Christiane Zintzen

Dine Petrik wandert durch die Geschichte, hebt einen Stein auf und macht ihn zum Beginn
einer Erzählung, fällt über einen Stein und von einem Staunen ins andere... Sie sucht nach Anfängen und Ursprüngen; nach Übergängen und Brücken zwischen den Kulturen. Ihr Empathie gilt dem kurdischen Volk ...
Weiber Diwan, Herbst 2002, vab

... Die Faszination, die der Osten auf die Autorin ausübte, wird in schnellen, poetischen Bildern erzählt: das burgenländische Mädchen, das die Sprache der Nachbarn nicht kann, empfindet dennoch eine Verwandtschaft zu jenen, die „nicht deutsch“ sind...
Podium, 127/128, 2002, Barbara Neuwirth

 

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Die Hügel nach der Flut. Was geschah wirklich mit Hertha K.?

...Die Versatzstücke des gedachten Bildes der Wirklichkeit schleudert uns Petrik mit syntaktischer Kraft entgegen; mit einer Intensität des Mit-Empfindens, fast Selbstaufgabe der eigenen Persönlichkeit, um die andere aus sich wachsen zu lassen, die mitreißt. Man muss die Versatzstücke selbst auffangen und ordnen. Hat man das geschafft, steht man vor dem zwar unvollendeten, aber berührenden Modell eines Gefühls-Kosmos, der einen umfängt wie ein Spiralnebel: rasend, mit elementarer Wucht in seine Ordnung ziehend.
LITERATUR und KRITIK,  H. 319, Nov. 1997, Reinhold Tauber

... Petriks Buch ist ein fulminanter Text, der das innere Erleben der Kräftner – aber nicht abgehoben von den fatalen äußeren Bedingungen – aus dem „Nichts“ hervorstampft ... Die Vergewaltigung, die noch dazu mit dem Schuldgefühl beschwert wurde, indirekt am Tod des Vaters schuldig zu sein, wird in Petriks Erzählung thematisiert. Dass sie sich dabei auf ein Neuland in der Beschreibung von Kräftners Gefühlen und Vorstellungen begibt, dass sie der Verzweiflung, die zum Auslöschen des eigenen Ich letztlich führte, ihre Geschichte zurück gibt, ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Literaturzeitschrift VIRGINIA, Frankfurt, Nr. 25, Okt. 1998, Barbara Neuwirth

...Petriks Text ist trotz mancher wackeliger Bilder berührend, exponiert in der Form und alles andere als eine Seifenoper. Die begann erst, als das Buch heraußen war . Gesichert sei, wurde behauptet, doch nur ein Tumult im Hause Kräftner, bei dem allerdings die Hebamme von einem Sowjet-Soldaten erschossen und Kräftners Vater durch  einen Säbelhieb eine schwere Verletzung erlitt, der er später im Krankenhaus erlag ... Petrik mischt Bericht, Zitat, Gedanken und Ansprechen der Figur Hertha K., bis zwingend der katastrophale Ablauf klar wird, ein Leiden, das unheilbar ist, weil es sich nicht erklären kann ... Dass hier nicht nur jedes Detail der Nachkriegszeit sondern auch die Psyche in sich stimmig ist, macht die Erzählung, die alles andere ist als eine Einzel-Biographie, zur Biographie ...
Literaturzeitschrift MORGEN, H. 115/1997, Hahnrei Wolf Käfer

In ihrem auf gründlichen Recherchen basierenden Buch ficht Dine Petrik althergebrachte Sichtweisen vehement an. Sie geht dem Innenleben der Autorin mit einer empathisch-projektiven Methode nach und kommt dabei zu ganz anderen Schlüssen als die männliche Literaturkritik. Untrennbar verbunden mit der Todessehnsucht und dem letztlichen Freitod Hertha Kräftners im Alter von 23 Jahren sieht die Autorin ein Zerstörungswerk, das an ihr begangen wurde: Vergewaltigung durch russische Besatzungssoldaten ebenso wie das Gefühl, schuldig zu sein am Tod des Vaters und einer weiteren Frau...
Kulturzeitschrift (SIC!), Nr. 20/21, Sept. 1997, Hilde Grammel

Aufgrund von intensiven Recherchen und aus innerer Sicht versucht Dine Petrik das bewegte Leben ihrer Dichterkollegin Hertha Kräftner nachzuzeichnen. Sie tut das aus der strengen Perspektive jener Generation, die den Zweiten Weltkrieg nicht mehr bewusst miterlebt hat.... Das vorliegende Experiment macht Lust auf Frauenliteratur, nicht nur von Ingeborg Bachmann, an deren Lebens-schicksal der Leser unwillkürlich erinnert wird, sondern auch von Hertha Kräftner und Dine Petrik.
Literaturzeitschrift CHANUKKA, 9 J. Nr. 35, Dez. 1997, Pierre Genée

...Die Ineinanderfügung von realen und imaginären Szenen, von emotionalem Nachvollzug eines schwierigen Lebens und komplizierten Erlebens mit der Einbindung in die Klüngel-Welt der Kunstszene der Nachkriegsjahre, der rasante Wechsel von Punkten realer und der Seelen-Geografie verlangt danach, ohne Unterbrechung, ohne Störung vereinnahmt zu werden. Eine Recherche, die selbst schöne Literatur geworden ist.
OÖ-NACHRICHTEN, Sa. 9. Aug. 1997, Reinhold Tauber

...Die Autorin ist in der Zeit der intensiven Recherchen und des Schreibens der Dichterin Hertha Kräftner sehr nahe gekommen. Sie hat traumatische Erlebnisse der jungen Kräftner aufgedeckt und Behauptungen (männlicher) Biographen korrigiert. Die einfühlsame psychologisch-literarische Studie ist kein üblicher biographischer Roman, sondern, so Dine Petrik: „Ein Nachgehversuch“.
BRIGITTE Redaktion, H. Aug. 1997, Christiane Holler

... Ein würdiges und eindrucksvolles Pendant zur Sprache von Hertha Kräftner soll das Schweigen brechen und eine unerträgliche Ungewissheit auf ein fassbares Maß reduzieren. Dine Petrik möchte „ihrer“ Autorin dabei ganz nahe kommen, um in Zeit und Welt ihrer Bilder einzudringen ...
SALZBURGER Nachrichten, VIII, Sa. 19. Juli 1997, Johann Auinger

Die Autorin, selbst im Burgenland aufgewachsen, ist dem Leben ihrer „Landsmännin“ nachgegangen, erzählt es nach: Die NS-Ära, die unter der jüdischen Bevölkerung „aufräumt“, die Russen, die Hertha Kräftner vergewaltigen und ihre Beschützer umbringen, der Literaturkreis im besetzten Wien, in dem Hochstimmung und Depression einander abwechseln. Eindrücke also, die eine sensible Seele in einen Sog von Glück und Verzweiflung stürzen. Was für eine lyrische, atemlose Sprache! Man liest wie gehetzt. Dine Petrik, bislang Lyrikerin, bleibt auch bei genauen Recherchen ihrem Stil treu, und doch legt man das Buch aus der Hand mit dem Gefühl, Hertha K. selbst gelesen zu haben
DREHBUCH FAMILIE, Juni 1997, 20 Jg. H. 3

... Das Porträt dieser unglücklichen, gescheiterten und sensiblen Frau wird durch die Reduktion der Ausdrucksmittel, eine beklemmende Verdichtung der Sätze zu Schlagwörtern und Schlagfragmenten, zum Ausdruck gebracht. Dine Petrik ist hiermit nicht nur eine exakte Biographie gelungen, sondern auch der Versuch, Hertha K. „von innen“ zu beschreiben – bis zur völligen Identifikation ...
DIE ZEIT IM BUCH, Jg. 52, H. 3, 1998, Gabriele Frittum

...Die Schriftstellerin entschließt sich zu einer imaginären Flucht und taucht in realen und surrealen Paris-Bildern unter. Aber spätestens wenn das Geld verbraucht ist steht die Realität wieder vor der Netzhaut. Die Kunst der Hügel von Montmartre, alles ist aufgeweicht und verschlammt, wie nach einer Flut.  Diese deprimierende Erzählung von Dine Petrik gibt genau die Stimmung des Schlammes wieder, wie sie etwa Gerhard Fritsch oder Hans Lebert in ihren Romanen als geheime Fahne  des Damaligen Österreichs aufgezogen haben.
BLICKPUNKT EXTRA, Landeck II, Nr. 36. Sept. 1997

Ich stecke derzeit gerade mitten in Dine Petriks „Die Hügel nach der Flut“ (Otto Müller Verlag) und bin fasziniert von ihrer subtilen Umsetzung der Gedanken- in die Sprachwelt.
FORMAT, Magazin für Politik, „Was lesen Sie?“, Nr. 17, 19. April 2002, Heide Schmidt

 

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Ausgewählte Gedichte – Podium Porträt 32

bin ein quer / liegendes ding steht schon im ersten Gedicht der Auswahl mit dem Titel "aus und anflug". Auch wenn die Gleichsetzung von lyrischem und realem Ich zu zahlreichen Missverständnissen Anlass geben kann, passt diese Zeile gut, sowohl auf die querdenkende und querschreibende Autorin, als auch auf ihre sperrige Sprache. Sich an thematischen und sprachlichen Widerständen zu reiben, wurde geradezu Programm im Titel ihres zweiten Lyrikbands "Befragung des Zorns". So auch in den Schlusszeilen des erstzitierten Gedichts: ... frei / lich an ecken ecke / ich härter an.
Der Zeilenumbruch mit dem ungewöhnlichen Enjambement ist charakteristisch für Petriks Sprachstil. Hart an hart aneinander und ineinandergefügt durchdringen sich die Bilder, kollidieren, koexistieren in einer strittigen Simultanität des Gesehenen. "Vexierbilder" nennt Christa Nebenführ in ihrem kundigen Vorwort diese Sprachgebilde, in denen das Bild je nach Betrachtungswinkel "umzuspringen" scheint.
Dazu noch ein Beispiel, diesmal aus dem Gedicht "im eck": am herd der / langen leiden / schaft entlock / ich der aus luft / gemachten ruhe / noch ein beben ... 
Petriks Lyrik zielt nicht auf Überwältigen und Sichüberwältigenlassen durch Emotion. Diese Gedichte konfrontieren den Leser mit ungewohnten, oft scheinbar inkongruenten Bildern, wo sich Bedeutungsschichten überlagern und entziehen sich auch einem Sprachspiel um des reinen Spieles willen. In ihrer Knappheit und dichten Konstruktion setzen sie dem oberflächlichen Lesen einen rauen Widerstand entgegen. Atem holen lassen die Gedichte vor allem durch ihre ironische Selbstsicht, wie in "das es vorm ich": ... ins papier mit / dem erdachten und / dass kein verstehen / ausbricht
Die mehrfach preisgekrönte Autorin ist auch als Malerin, Reiseschriftstellerin und Essayistin hervorgetreten. Für Aufsehen sorgte Petriks literarische Hertha Kräftner-Biographie.
Ihre lyrische Stimme ist unverwechselbar und es bleibt zu hoffen, dass diesem Podium-Porträt noch weitere so präzise Erforschungen dieser Literaturgattung und ihrer Möglichkeiten folgen werden, wenn im Vorwort auch eine Abkehr vom Gedicht und Hinwendung zu anderen Ausdrucksformen angedeutet wird.
Literarisches Österreich /2, Sept. 2007, Wolfgang Ratz

 

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Befragung des Zorns

Dine Petrik erweist sich als Nachlassverwalterin der Konkreten Poesie und des Spätexpressionismus, dem sie in manchen Gedichten stilistische Geschlossenheit opfert. Doch finden sich in diesem Band einige Gedichte in einem ausgeprägtem Sprachlot ...Das Ich dieser Gedichte fragt, ob es sein Gegenüber wirklich kennen könne, ob das Du diesen Titel überhaupt verdiene, ob es sich einlassen solle auf den „gletschergrauen“ Blick. Gedichte, die bei allem Zorn uns daran erinnern, dass wir uns im Zweifelsfalle nur unserer Unsicherheit in allen Dingen des Lebens sicher sein können ...
Die Presse, SPECTRUM, 25,/26.März 2000, Rüdiger Görner

...Kurzskizze des Weltbildes, das entworfen wird von einer hochsensiblen Frau, deren Nervenkostüm fragil ist, die über einen unerschöpflich scheinenden Metaphern-Schatz verfügt, der allerdings verschwenderisch hingeschüttet wird.
OO-NACHRICHTEN, Literatur, Fr. 22. Okt. 1999, R.T.

Diese Gedichte überwinden Raum und Zeit, um sich doch wieder zu erden. Denn sie stehen wie Wortskulpturen fest verankert im Raum und haben Anfang und Ende wie ein Musikstück. Sie sind tonal und atonal gleichzeitig; spielen mit verschiedenen Sprachebenen. Weil sie den Zorn befragen, sind sie wohl im innersten auf der Suche nach Liebe ...
Etcetera, H. 1999, Doris Kloimstein

... Manche der Gedichte sind graphisch gestaltet gesetzt, die äußere Form wird als Teil des Kunst -werks gedacht, ein Anklopfen an den Ideen des Konstruktivismus trotzt da und dort in schweren dunklen Lettern der Leserin entgegen. Viele der Gedichte bleiben dunkel, sind Blicke in eine andere Welt, die von der Autorin nicht verkauft wird, worauf sie den Blick aber zu teilen bereit ist.
Weiber Diwan, Winter 1999, Barbara Neuwirth

 

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Sonaten für Wasser und Wind

Daß lyrische Gedichte heutzutage keineswegs antiquiert sein müssen, beweisen Dine Petriks „Sonaten für Wasser und Wind“... Die in Wien lebende Malerin schreibt seit ihrer frühen Jugend Poeme. Ängste, Geheimnisse, Erinnerungen und Phantasien haben sich in ihre Texte als kleine Verschlüsselte Botschaften eingeschrieben ...
Die Presse, VIII-Literaricum, Elisabeth Groz, 13./14. Okt. 1990

Mit der Lyrik ist es in unseren Zeitläuften so eine  Sache. Es gibt viele, die sich darin erproben, und nur wenige, die sie lesen. Unzählige Stümper fühlen sich berufen; als Butzenscheiben-Dichter rücken sie ihrer lyrischen Sehnsucht zu Leibe, zu hunderten füllen sie Selbsterfahrungskurse an Volkshochschulen. Dine Petriks Poeme enthüllen ein zartes Gefühl für die Sprache, eine Ernsthaftigkeit, die aus wirklicher Begabung erwächst ...
AZ: Arbeiterzeitung, Feulleton, Günter Kaindlstorfer, Sa. 19. Mai 1990

Gedichte, die bis in die verdrängten Verwundungen des Ich reichen, hat Dine Petrik zusammen gefasst. Ängste, kaum verschorfte Verletzungen, die auch sprachlich schwer einzufangen sind, erscheinen als Triebfeder des Gestaltungswillens. Petriks Poesie ist ein Hineinhorchen und ein Verlangen, diese namenlosen Impulse seismographisch aufzuspüren ...
DIE FURCHE, 1990, Helmut A. Niederle

...Wie aus einem tiefen Brunnen holt Dine Petrik Bilder aus der Kindheit herauf, wendet das individuelle Erleben ins Mythische und lässt meist einen Grundton von Skepsis und Resignation anklingen. Die Natur dient ihr dabei aber nie als bloße Behübschung der Gedanken ...
Der Standard, ALBUM, „Kurztipp“, Juli 1990, W.K.

 
     
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